Das mit dem Lernen fürs Leben ist ja so eine Sache. Denn damit verbunden ist zumeist das Lernen vom Leben. Und ehrlich gesagt lerne ich lieber aus eigenem Antrieb, einfach so. Heute wurde ich gelernt. Es begann wie so oft im Leben mit schlechtem Wetter. Um 5:35 Uhr in der Früh ist die Welt noch in Ordnung – oder zumindest die Hoffnung darauf. Ich starte kurz entschlossen erneut los zu einem Versuch über den Sonnenaufgang und finde wie schon beim letzten Mal fast nur Wolken über dem Meer vor. Doch weil es so schön ist im Freien und ich schon mal da bin, spaziere ich hinauf zum Lookout über dem Shelly Beach – und von dort sehe ich, wie sich die Sonne einen ziemlich imposanten Weg durch die Wolkendecke bahnt und diese ganz wunderbar inszeniert. Den Cache dort oben finde ich zwar wieder nicht, aber ich bin so high von dieser Morgenstimmung, dass ich das Gefühl habe, der Tag könnte schon wieder zu Ende sein – mehr Schönes an einem Tag brauche ich nicht.
Dieser Gedanke wird mir zum Verhängnis, denn nur kurz später beginnt es zu nieseln – aber da bin ich schon wieder im Apartment und frühstücke gemütlich über dem „Manly Daily“. Meistens reißt es aber am Vormittag auf, weswegen mich das bisschen Nass noch ziemlich kalt lässt. Nach einem starken Regenguss lässt der Regen schließlich auch nach und ich breche auf. Auf dem Busweg nach Avalon – einem Suburb, den ich vom letzten Mal so nett in Erinnerung habe, dass ich ihn noch einmal besuchen will – bin ich dann sehr froh über den Knirps, den ich in letzter Sekunde doch noch eingepackt habe. Es schüttet, so richtig und ohne Unterlass. Avalon selbst ist dann weitaus kleiner als in meiner Erinnerung und auch nicht so nett, aber das kann auch am Wetter liegen. Was nun? Als ich bei der Busstation sehe, dass es hier einen Bus gibt, der zum Railway Square geht, kommt mir eine glorreiche Idee: ich fahre einfach nochmal nach Chinatown, dort war es bei Regen schon einmal sehr nett und kulinarisch wertvoll. Für die Busfahrt stopfe ich den Knirps in zwei kleine Plastiksackerl, die ich wiederum in meine Tragtasche mit dem Tageszubehör und den Fundstücken des Tages (Prospekte, Kataloge, mein Schmöker) gebe.
Nach einer Stunde Busfahrt spaziere ich dann bei trockenem Wetter durch Chinatown und gehe zielstrebig – ein bisschen stolz bin ich darauf schon – zu Mamak. Noch einmal malaysisches Roti canai, bitte! Ganz so einfach ist das natürlich nicht, denn es ist Mittagszeit und alle Asiaten und einige Nicht-Asiaten aus der Umgebung und den umliegenden Büros sind brav um den halben Block angestellt und warten auf einen Tisch. Ich auch. Wie eine Einheimische eben, hach. Diesmal probiere ich die Tiger prawns with fiery sambal als Lunch Special zu besagtem Roti canai (das man übrigens „tschana“ ausspricht). Langsam merkt man an allen Ecken (und nicht nur in Chinatown), dass das Chinesiche Neujahr – The Year of the Sheep – vor der Tür steht, überall werden erste Dekorationen angebracht – und in Sydney dürfte ganz enorm gefeiert werden, wobei wir dann bereits unterwegs sind und das hier nicht mehr miterleben werden.
Danach fällt mir (wie orientierungstechnisch und geografisch begabt ich doch seit einigen Wochen bin!) ein, dass es nicht weit sein dürfte nach Chippendale, wo ich mir auch einen Laden und ein Lokal ansehen wollte. In dem uninteressanten Laden kommt es dann zu meiner Lektion des Tages: plötzlich merke ich nämlich, wie etwas auf meinen Fuß tropft, hartnäckig und egal, wie viele Schritte ich zur Seite mache. Und ich lerne, dass man mit einem Haufen Zeitschriften, Prospekten und dem standardmäßig eingepackten Schmöker einen klitschnassen Knirps durch zwei kleine Plastiktüten und eine Tragetasche hindurch auspressen kann, was wiederum all diesem Papierkram nicht besonders gut bekommt.
Abgesehen davon ist es ein relativ fotoarmer Tag. Als letztes Highlight gibt es dann noch meinen ersten Besuch im Supermarkt „Woolworths“, der hier „woolies“ genannt wird. Ein paar Goodies, eine Bus- und eine Fährenfahrt später bin ich zuhause. Trotz mittelprächtigem Wetter eigentlich wunderbar zufrieden und wieder einmal erstaunlich müde….
Nichtsdestotrotz schaffe ich es, mich gegen 19:30 Uhr noch einmal aufzuraffen und mein täglich schwerer werdendes Gebein noch einmal hinunter zum Strand zu schleppen: es ist Vollmond heute und wenn ich das gestern Abend durchs Fenster richtig interpretiert habe, müsste der Vollmond, wenn er sich gegen die Wolken durchsetzen kann, direkt über dem Meer aufgehen. Das will ich mir nicht entgehen lassen, noch dazu, wo der Tag sich seit 7:00 Uhr morgens nicht mehr richtig ins Zeug gelegt hat. Und das tut er jetzt: pünktlich um 19:58 Uhr macht sich über dem Meer und hinter ein paar letzten Surfern ein oranger Schimmer breit. Es ist ein kurzes Vergnügen, denn sehr schnell versteckt sich der orange Mondball wieder hinter den Wolken. Aber ich lerne weiter: Lektion 2 des Tages besagt, dass es sich immer lohnt, sich noch einmal aufzuraffen, ganz gleich wofür. Lektion 3: Das Glück ist ein Vogerl (zB ein wunderhübsches Papageienpaar in einer Norfolk Island Pine) oder aber ein vorbeihuschender Mondball. Und ich wieder mal ganz hin und weg von diesem abendlichen Glück, dass ich den leer gefegten Corso drei Mal auf und ab gehe und mich einfach vor mich hinfreue.
Ich will die Kamera schon einpacken, als ich wunderschöne Lichtspiele vor dem Hintergrund der nächtlich beleuchteten Manly Wharf entdecke und mich wieder einmal 13-19 Ampelphasen lang hinter der Kamera verliere – ebenso wie kurz darauf noch an der Esplanade. Dann, Lektion 3 wird hier wiederholt, noch einmal die klare Botschaft, wer hier das Sagen hat. Es ist eindeutig die Natur, die nicht mit ansehen kann, wie ich glücktriefend und schwerbeinig die Esplanade entlangtänzle. Es beginnt zu nieseln und regnen und als ich gerade hinter mir die Apartmenttür schließe, unglaublich zu schütten. Welches Timing! Welcher Endspurt dieses seltsamen Tages!
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