99 Tage Sommer im Resüme und eine Träne im nicht vorhandenen Knopfloch

Einmal noch 400 km fahren, einmal noch im Womo schlafen – seltsam und ein wenig unwirklich fühlt sich dieser Countdown an. Einerseits traurig, weil die Zeit schon wieder mal so schnell vergangen ist, andererseits ist da die Vorfreude auf ein stationäres Leben, zuerst in Perth und dann in Wien.

In der Früh machen wir noch einen kleinen Stopp in Dongara, einem gemütlichen Ferienort am Meer, wo wir eigentlich gestern übernachten wollten. Und der führt uns gleichzeitig vor Augen, was wir vermissen werden und worauf wir uns freuen. Es riecht ganz wunderbar nach Meer hier und die Brandung hat wieder diese beruhigende Wirkung und dieses bezaubernde Türkis entspannt den Geist auf eine ganz wunderbare Art. Wir gehen durch frisch gemähtes Gras und das Gefühl von saftigem Gras zwischen den Zehen anstelle von rotem Staub oder weißem Sand gefällt uns ebenso wie der heimatliche Geruch nach frisch gemähtem Rasen.

Dort, wo ich in den letzten Monaten gesessen bin, wird plötzlich ein Lenkrad herauswachsen. Ich werde als Beifahrerin nicht mehr mehrere Stunden pro Tag Zeit zum Meditieren haben, meine häufigsten Antworten werden nicht mehr mit dem Wort "Kilometern" enden.

Ich werde Töpfe, PC,  Bücher und Gewand nicht mehr vom selben Standort aus angreifen können und mich darüber freuen. Ich werde mein Bett nicht jeden Abend auf- und jeden Morgen abbauen müssen. Ich werde dem geselligen Gemeinschaftspinkeln wieder abschwören und nicht mehr nachts vor die Türe gehen müssen, wenn mich ein solches Bedürfnis überkommt.

Der Mond wird sich nicht mehr rücklings hinter die Häuser stürzen, das Wasser wird wieder rechts herum ablaufen und die Türschlösser werden wieder logisch auf- und zuzusperren sein, anstatt in die unlogische Richtung gedreht zu werden.

Wasser wird wieder nach Wasser schmecken und zwar gut, Brot wird wieder knuspern und zwar sehr gut, und überhaupt wird man wieder mehr Gewürze zur Auswahl haben als nur Salz und Smokey Barbecue-Gewürz, das wiederum ich sehr vermissen werde.

Ich werde zum Baden nicht mehr die nächste große türkise Salzwasserwanne suchen müssen, sondern eine allzeit bereite kleine Wanne (ebenfalls türkis, wenn ich mich recht erinnere) zur Verfügung haben. Ich werde nicht mehr "Catchya later" sagen, außer wenn ich auffallen möchte, ich werde nicht mehr das gelbe T-Shirt zur orangen Short tragen, außer wenn ich auffallen mchte, ich werde meine Haare wieder offen tragen können, außer wenn ich als wandelnder Aufreiblappen auffallen möchte.

Ich werde den Fernseher aufdrehen können und mich wundern, dass das deutschsprachige Fernsehen im Vergleich eigentlich gar nicht soooo schlecht ist, und ich werde "dem letzten Bullen" Dank sagen, dass er mich in Wien zumindest auf Video willkommen heißt. Ich werde zum Kochen nicht mehr eine Kiste mit Tellern, Lebensmitteln und Abwaschutensilien in die Küche tragen müssen.

Ich werde herausgerissene Rezepte nicht mehr in einem Plastiksackerl sammeln müssen und das Auffinden selbiger wird keinem Memory für kochwütige Reisende mehr gleichen.

Ich werde mich im Supermarkt austoben können, ohne bei jedem Produkt zu sagen, "das ist aber wirklich zu teuer", oder denken zu müssen, wie das denn in den kleinen Kühlschrank passen könnte. Ich werde wieder backen können, B wie Backrohr unmittelbar vor B wie Badewanne.

Ich werde mich aber auch wieder jeden Tag auf die Waage stellen (for better or worse), anstatt nur im angekleideten Zzustand in kleinen Gesichtspiegeln anhand meiner Backendicke körperliche Veränderungen schätzen zu müssen. Aber ich werde mir auch nichts mehr schön reden können, von wegen geschwollene Backe und verzerrender Spiegel und so.

Ich werde wieder trockene Augen und schuppige Haut, aschfahl, haben, werde wieder mehr als ein Duschbad zur Auswahl haben und mich fragen, ob dieser Überfluss wirklich nötig ist. Ich werde anfangs den halben Kleiderschrank aussortieren wollen, bis ich mich, ehe ich dazugekommen bin, wieder an die Fülle gewöhnt habe. Ich werde mein ganzes Leben hinterfragen, bis ich mich wieder damit arrangiert habe. Ich werde hoffen, dass alle meine Pakete von unterwegs gut ankommen und mich in den neuseeländischen Kochbüchern vergraben. (Dafür wäre es allerdings gut, NUR den Gesichtsspiegel zur Verfügung zu haben und keinen Ganzkörperspiegel oder gar eine allzu harsche Waage.)

Ich werde die Sände, die mir monatelang die Welt bedeutet haben, in hübsche Gläser füllen, liebevollst etikettieren und mich an all die tollen Momente erinnern. Ich werde staunen, was sonst noch alles in meinen Paketen enthalten ist, werde mein Auto mit einem I LOVE SYDNEY- Sticker aufrüsten. Ich werde anfangs im goldenen Seidenpyjama, der nur besonderen Anlässen wie der Heimkehr nach knapp vier Monaten vorbehalten ist, tragen und den Jetlag mit Videoschauen (ja, der letzte Bulle!) und farblich zum Pyjama passendem Apfelmus (reiner Zufall natürlich, abgesehen davon, dass es diesmal ganz etwas anderes werden könnte) bekämpfen. Ich werde durchs Haus geistern und mich mit meinem Hab und Gut vertraut machen, überlegen, wo die neuen Errungenschaften ein Plätzchen bekommen werden oder überhaupt gleich Pläne zur Generalüberholung des Hauses schmieden. Eine Verlegung ans Meer vielleicht? Ein Brandungsmacher? Ein Meeresgeruchsmacher? Oder doch ein Kuschelhündchen, das "shake hands" machen kann?

Ich werde anfangs Gefahr laufen, überfahren zu werden, weil ich den Rechtsverkehr nicht mehr gewohnt bin, aber ich werde wieder frei sein, selbst zu fahren, ohne die gesamte Menschheit zu gefährden. Überhaupt werde ich eine breite Auswahl an Fortbewegungsmöglichkeiten haben, ob Auto, Mofa oder Rad. Ja sogar zu Fuß gehen wird in Anbetracht der Wiener Distanzen wieder eine Denkvariante darstellen (denken darf man es ja).

Ich werde aber auch wieder Schuhe tragen müssen, präsentabel aussehen, ohne dafür derAuswahl aus den gerade sauberen drei Kleidungsstücken ausgeliefert zu sein, mich schminken können, ohne zuvor die Mascara und nichts als die Mascara aus einem Täschchen in einem Schränkchen herauskramen zu müssen, zu dem man nur bei geöffneter Autotür bequem hinkommt.

Ich werde wieder einen Kalender führen mit wichtigen und viel zu vielen Terminen, ich werde das Handy wieder für Telefonate verwenden und eine Tastatur haben, auf der man die Finger nicht zu möglichst kleinen Fingerabdrücken zusammenrollen muss. Ich werde wieder Mailboxen abhören müssen und neue Freundschaft oder zumindest notwendige Bekanntschaft mit Geräten wie Haarföhn und Staubsauger schließen müssen. Wäschewaschen wird wieder zur Pflicht werden, anstatt ein seltener Luxus zu sein. Es wird nicht mehr aus jedem der (vier) Handtücher Sand rieseln und ich werde nicht mehr in jeder Hosentasche eine Muschel finden. 

Ich werde als Hauptliteratur keine Landkarten und Reiseführer mehr haben, werde keine regelmäßigen Schläfchen mehr im fahrenden Auto halten (wohl besser so) und mir etwas überlegen müssen, wie ich meine Zehen den Entzug des Flipflopriemchens erklären soll. Vielleicht gibt es ja Socken mit innenliegendem Flipflopstegen, wobei: Habe ich geschrieben Socken? Was ist das überhaupt genau? 

Ich werde nicht mehr täglich Sand und Reiscracker unter dem Bett hervorkehren, nicht mehr 10 Stunden täglich mit Sonnenbrille gehen. Die Staubschicht in meinem Auto wird nicht rotsandig sein und ich werde den ÖAMTC (hoffentlich) nicht siebzehn Mal an einem einzigen Tag anrufen müssen. 

Ich werde wieder Radio hören, anstatt stundenlang Max' drei gepfiffenenen Liedern zu lauschen (Max: das können nur Menschen behaupten, die etwas mit den Ohren haben. Es waren mindestens 4 verschiedene). Ich werde wieder immer und überall Empfang haben (for better or worse) und meinen Aktionsradius nicht nach Internet-Empfang ausrichten müssn. Ich werde meine Bastelsachen nicht mehr in einen Sack gequetscht zwischen Tellern, Zwiebeln und Tagesrucksack verstauen. Ich werde keine dreiseitigen Blogs mehr schreiben, weil mir beim Autofahren so langweilig ist, dass ich philosophisch werde und ich werde nicht mehr so viel Gelegenheit haben, die Probleme der ganzen Welt beim Autofahren zu analysieren.

Ich werde vorübergehend (mindestens drei Tage) vergessen haben, wie sehr sich der graue Wiener Himmel aufs Gemüt schlagen kann und wie unvermittelt es auch im April oder Anfang Mai noch einmal schneien kann. Ich werde vergessen haben, wie sich der Stau auf der Nordbrücke und das Parkplatzsuchen anfühlen und wie Hundescheiße in adretten Bauminseln einem die Laune verderben kann. Ja, vielleicht werde ich die Besitzer tatsächlich ersuchen, hinter ihrem Monsterverdauungstrakt auf vier Beinen zusammenzuräumen und mir außerdem selbst einen Hund zulegen.

Und dann wird alles ganz anders kommen, und das wird mich wegen der vielen Überraschungsmomente ans Reisen erinnern, und so wird sich der Kreis – auch ohne Brandung und türkises Meer – irgendwie schließen und ich werde wieder ein bisschen die alte und ein bisschen die neue sein und mich freuen, dass ich heute noch keine Ahnung habe, wie diese Mischung ausehen könnte.

Ansonsten, eher auf der belanglosen Seite: Der am Reisbrett geplante Vorort von Perth Ellenbrook ist absolut verrückt, Shopping Center und reihenweise Reihenhäuser mitten in die Wüste gesetzt. Das daran grenzende Swan Valley, bekannt für Wein, Käse, Schokolade und entsprechende Verkostungen, mag uns nicht. Als wir um 15 Uhr eintrudeln, mörderhungrig, hat fast alles geschlossen, nur die zuverlässige Chocolate Company sorgt für einen kleinen Zuckerschub. Wir, nicht einfallslos, auf zum Mega-Supermarkt und besorgen uns eine eigene Käseplatte und einen Supermarktwein, der am Campingplatz fantastisch schmeckt. So einfach geht Leben, so einfach geht Genuss!


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