99 Delfine und ein Befreiungsschlag

Reisen bildet, das weiß man ja. Ein Beispiel gefällig? Ich für meinen Teil habe etwa in den letzten 48 Stunden ein neues Primärbedürfnis des Menschen identifiziert – während der Buschauffeur nach eigenen Angaben auf meine Frage, was er gerade tut (ich konnte ihn von hinten im Fahrzeug nicht sehen) sagte: "Ich sitze am Fahrersitz und ärgere mich."

Das von mir identifizierte Grundbedürfnis – das menschenwürdige und kreuzfreundliche Ein- und Aussteigen aus Fahrzeugen durch dafür gedachte Fahrzeugöffnungen – hatte ihn schlagartig in eine frühkindliche Phase zurückversetzt.

Der Grund für unsere beiden Glanzleistungen ist schnell erklärt. Der Vorhang an der seitlichen Schiebetür unseres Wohnmobils hatte sich verheddert und beim besonders kräftigen Zuschlagen dermaßen in der Tür verkeilt, dass sie sich nicht mehr öffnen ließ. Die Hauptalternative, das Einsteigen über den Fahrersitz und Umklettern der Sitze im Cockpit, um in die Wohnschlafarbeitskochkabine zu gelangen, ist denkbar umständlich, wenn auch anders als bei den früheren Fahrzeugen, die wir gmietet hatten, nicht unmöglich. Aber vor derlei Glück hütet man sich besser wohl.

Die Sekundäralternative, das Einteigen durch die hintere Flügeltür, wiederum bringt das Überklettern des Tisches sowie beim Einsteigen jedes Mal ein neues Schienbeincut mit sich. Wir gehen neuerdings im Partnerlook, jeder von uns hat in 35 cm Höhe vom Boden ein waagrechtes 6 cm langes Cut. Auch eine Form der Verbundenheit, oder?

Ein weiterer Nachteil der verklemmten Seitentür ist der Sauerstoffgehalt im Fahrzeug angesichts mangelhafter Lüftmöglichkeiten mit damit verbundenem Hitzestau, der dadurch verschlimmert wird, dass man jedes Getränk und jeden Teller wie bei einem Hindernislauf über den Tisch befördern muss – auf der Flucht vor der Hitze im Fahrzeug, nur um draußen dem einen oder anderen Emu in die Arme zu laufen, einen Schrei loszulassen und wieder unter neuerlichem Aufschlagen des Cuts ins Auto zu robben, über den Tisch, über dem man irgendwann vor Erschöpfung oder Verzweiflung kollabiert.

Auch der Buschauffeur hatte mit diesm Szenario keine Riesenfreude, was auch daran liegt, dass er noch weitaus ungelenkiger ist als ich. Einfallsreich wie er ist, rüttelte er je nach Ärgerungsgrad mal öfter, mal seltener an der Tür, spielte mit dem verklemmten Vorhang oder drosch auf die Tür ein. Was sich die anderen Campingplatzgäste bei all unseren Spielchen dachten, will ich gar nicht wissen.

Gestern spät abends, als ich bereits erwog, einen besonders gut ausgestatteten Gast mit Werkzeugkisten in der Größe von ganzen Kühltruhen um Hilfe zu bitten, landete Max dann den Befreiungsschlag, der das Wort "Dugong" aus dem Titel dieses Blogs katapultierte. Es muss daran gelegen haben, dass es bereits ausreichend abgekühlt und sich das Blech soweit eingekriegt hatte, dass es an sich rütteln ließ. Das nahezu unermessliche Glücksgefühl, das das einst vertraute Schiebegeräusch der Tür bei uns auslöste, ist der Beweis dafür, dass die schönste Seekuh (Dugong) und alle 99 Delfine der nachmittäglichen Bootsfahrt nichts sind gegen ein Mindestmaß an Reisekomfort.

 


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