Der heutige Feiertag, Labour Day, ist genauso ereignislos wie bewölkt. Während uns Ersteres angesichts der Fahrstrecke von 400 km bis nach Kalbarri und dem Eingang zum gleichnamigen Nationalpark nicht wundert, kommt Zweiteres im wahrsten Sinne "out of the blue" und "out of the starlit skies". Immer wieder tröpfelt es, und zwischendurch sticht von irgendwo her die unsichtbare Sonne herunter.
In Geraldton – mit Ausnahme des town beach genau so ausgestorben wie zu befürchten war – ist aber zumindest ein Vodafone-Handymast in Betrieb und feiert nicht auch den Tag der Arbeit. Wir parken uns mit Blick auf den Strand und erledigen Blog, facebook und diverse Recherchen. Das Wetter sieht auch für die nächsten Tage gut aus, es lässt sich nicht ganz erklären, wer heute unbemerkt von allen Wetterprognosen und -meldungen über unsere gesamte Route diese seltsame Wolkenmischung drapiert hat. Hauptsache, diese graustichige Deko wird rechtzeitig wieder abgenommen, sobald wir uns den roten Felsen des Kalbarri NP nähern!
Es folgt die übliche Feiertagssuche nach einem offenen Supermarkt. Wieder einmal ist es ein abgelegener IGA, der uns rettet und mit einem frischen Grillhendl fürs Picknick an der Strandpromenade versorgt. Auf Reisen wie diesen ist es ja immer wieder faszinierend zu beobachten, wie sich das Leben auf die Primärbedürfnisse reduziert: Landschaft, Flora, Fauna und Wetter sind immer nur die Tüpfelchen auf den vielen I's. Ungeduscht mit unzureichend bestücktem und womöglich nicht richtig funktionierendem Kühlschrank und in schmutziger Wäsche unterwegs zu sein, kann schwierig sein. Insbesondere, wenn einer der Reisenden in Sachen saubere Unterwäsche oder T-Shirts die Nase weit vorne hat, ja, dann kann das schon mal an die Beziehungssubstanz gehen. Das Problem haben wir derzeit aber nicht; unsere Frischwäschebestände nähern sich synchron und rasant dem Tiefststand, der aus leeren Wäschesäcken mit nichts als je zwei Paar sauberen Socken (wir haben seit Wochen keine mehr getragen) besteht. In der Duschkabine hermetisch abgeriegelt hingegen befindet sich ein überquellender Sack, der anfangs nur leise, mittlerweile aber schon recht laut durch die Tür wimmert: Einmal waschen, bitte!
Nach der Pause in Geraldton stehen die letzten 150km des Tages an. Mal sehen, was dieser heute noch fùr uns in petto hat. Nach fünf Stunden, gefühlten acht Stunden, ein WC zu finden, wäre eine wunderbare Sache. Ich habs ja gesagt, man wird auf wundersame Weise auf ganz wenige Dinge und ein paar Überraschungen pro Tag reduziert. (Stimmt schon, wir haben eine Toilette an Bord, doch wir haben gelobt, sie nur im absoluten Notfall zu verwenden – nicht nur weil darin (sie ist quasi neben dem Schmutzwäschesack in die Duschkabine integriert) eine Platzangstattacke unvermeidlich ist, sondern weil einer von uns sie dann auch irgendwann entleeren muss.) Dass mein Gelöbnis viel schwerer wiegt als jenes von Max, ist leider unbestreitbar. Ich sage nur Sittichferse.
Aber zurück zu den Überraschungen: Dieser Aspekt ist der allergrößte Unterschied zum heimischen Alltag. Es gibt auf dieser Reise eigentlich keine Situation, die NICHT mit einer Überraschung aufwarten könnte. Egal ob Supermarktsuche oder -besuch, tanken, Campingplatz, essen, schlafen, Nationalparka, Flora oder Fauna – nichts, wirklich nichts entspricht jemals den Erwartungen, die man aufgrund von Hausverstand, Literatur, Prospekten, Reiseführern oder Erinnerungen vor dem geistigen Auge hat, bevor man mitten drin steckt. Alles ist neu, nicht immer gut, aber neu. Man sieht die Welt und sich selbst mit neuen Augen. Und ja, den Partner auch – for better or worse 😉
Einziger Wermutstropfen an dieser stetigen iund schleichenden Veränderung: Man kehrt als jemand anderer zurück, und das sehen viele Menschen nicht. Für die anderen ist es viel einfacher, einen weiterhin so zu sehen, wie man "schon immer" war oder zumindest so, wie man vor der Reise war. Man kann es ihnen nicht verübeln und trotzdem wird einem in gewisser Weise oft ein Korsett auferlegt, das einem nicht mehr passt oder jedenfalls nicht mehr zum frisch gebräunten Reisegesicht steht – eine diffizile Sache, selbst unter uns.
Während ich Veränderung spüre und liebe, ist Max am liebsten immer derselbe. Den kennt er schon. Ich finde es da spannender, neue Facetten zu entdecken, ob Hundeliebe, glutenfreies Cafe Style-Müsli oder feingetunte Charakterzüge, wie Geduld, Toleranz oder Offenheit. Aber mit Veränderung verhält es sich wohl ähnlich wie mit dem Wort "plätschern". Wenn das Leben dahinplätschert, ist es für die einen das beste und schönste Gefühl, für die anderen nichts als ein endloser, langweiliger Alptraum. In welche Kategorie ich falle, brauche ich wohl nicht zu erwähnen, oder?
Dass sich die Wahrnehmung von Zeit auf langen Reisen verschiebt, ist da eigentlich nur ein Nebenprodukt, ein sehr angenehmes, wohlgemerkt. Für mich zumindest. Auch wenn die Stunde bis zum Eintreffen auf dem Campingplatz ewig lange sein kann, wenn man schon ganz dringende Bedürfnisse hat, ist sie das auch beim genussvollen Warten auf Sonnenauf- oder -untergang, beim Beobachten des Vollmonds, der sich scheinbar durch die Dachluke ins Auto quetschen möchte und am nächsten Morgen (selber schuld!) etwas demoliert als schiefer Halbmond über dem Horizont herumkugelt oder beim Belauschen der Brandung, die es oft bis in die frühen Morgenstunden wild treibt, ohne sich auch nur eine einzige Extrasystole zu leisten.
Da ich vermutlich keine weiteren 45 Minuten mehr zur Ablenkung von diversen Bedürfnissen am Blog schreiben kann, widme ich mich nun doch wieder der Straße. In 80 km darf die Zeit dann wieder machen, was sie will. Bis dahin könnte sie sich gerne etwas sputen! Max, sind wir bald da-a?
P.S. Der Tag hat sich dann doch noch einen kurzen Sinn gegeben, denn an diversen Lookouts auf dem Weg zum Campingplatz gab es dann noch ein paar hübsche Ausblicke auf Island Stone und Natural Bridge sowie einen gemütlichen Tagesausklang mit den Highlights Swimmingpool & Wäschewaschen am Campingplatz. Glück ist: Frische Wäsche und etwas Salz um den Mund!
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