99 Zeichen von Zivilisationssucht und eine Kühlschrankkur

Trotz des fehlenden Kühlschranksurrens und der nur ganz leise hörbaren Brandung schlafen wir, als ob uns die Zivilisation gar nicht fehlen würde. als ob. Sobald wir die Tagesetappe von 350 km (einiges Highlight eine Pelikankolonie) absolviert haben und uns dem Tagesziel Albany nähern, merke ich, wie ich unruhig werde. Alle 10 Minuten gestatte ich mir als Beifahrerin einen Blick auf das Handy, um festzustellen, ob wir denn nach den zwei unziviliserten Tagen endlich wieder Empfang haben. Irgendwo muss doch auch Vodafone wieder einen Sendemasten hingepflanzt haben!

Endlichendlichendlich Ist es soweit. Wie ein Junkie auf Entzug richte ich noch im Fahren  den Hotspot ein und beginne, über das ipad Infos abzurufen. Nur wichtige natürlich, wie etwa die Entwicklung des Westküstenzyklons, der mittlerweile einen Namen bekommen und eine ansehnliche Zerstörungskraft entwickelt hat. Rusty heißt das Monster, das unseren Plänen im Weg steht.

Nach einem kurzen Stopp in der City – ja, fast könnte man die beiden Straßen, die in einem recht ansehnlichen Einkaufszentrummündet, so nennen – zieht es uns auf den Emu Holiday Park. Leider gibt es hier keine Emus, sondern nur eine Lage am Emu Point und an einem recht stürmischen Meer. Das Wichtigste jedoch ist, dass es hier wieder Strom gibt. Wir hoffen sehr, dass sich unser Kühlschrank durch eine kleine Stromtherapie reanimieren lässt. Und wirklich: Kaum haben wir ihm Strom angelegt, surrt sein kleines Herz wieder rhythmisch. Vielleicht braucht er auch noch eine Schlammpackung? Angesichts der Nähe zum Meer wäre das ja kein Problem.

Bevor wir zu diesem weiteren Behandlungsschritt übergehen, rufe ich doch lieber bei unserem Vermieter Apollo an und hoffe auf eine lnicht allzu schlimme Ferndiagnose. Wie wir vermutet haben, ist es die zweite Batterie, die scheinbar nicht richtig geladen wurde (ich habe mir die Mühe gemacht, sogar das Vehicle Check Sheet zu studieren und ein paar Ungereimtheiten festgestellt). Der Therapieansatz lautet daher, das Fahrzeug mindestens zwei Nächte lang an den Strom zu legen, bevor wir der Zivilisation wieder den Rücken kehren. 

Aber danach steht uns gerade gar nicht so der Sinn. Wie auf einen unausgesprochenen Befehl hirschen wir nach der Wiederbelebung des Kühlschranks mitten am Nachmittag zu den Duschen. 72 Stunden können lang sein, wenn man sich wie ein ausgewachsener Iltis fühlt.

Erst danach kommen die nächsten Zivilisationsbedürfnisse dran wie Mails lesen, weitere Infos uüber Rusty einholen etc. Der Campingplatz ist herrlich belebt, aber doch ruhig. Max ist sogar versucht, die hier angebotene  Massage by Eva in Anspruch zu nehmen. So muss sich Marco Polo nach seinen Streifzügen auch gefühlt haben, oder war es Adam? (Wobei ich mich frage, lob Eva "ins Haus" kommt – würde sie sich auf unsere Schlafstätte knien, zwischen Herd und Fernseher herumturnen?)

Anstatt einer Massage fahren wir jedenfalls nach einem Strandspaziergang bei leider nur 22 Grad nochmal in die Stadt auf eine kurze Retail Therapy. (Kurz auch deshalb, weil hier alles außer den Supermärkten um 17 Uhr schließt und bei unserem Eintreffen um 16 Uhr die Gehsteige bereits leer gefegt sind, als ob Rusty zugeschlagen hätte.) Die Freuden des Stadtmenschen sind vielfältig: Max zieht es in einen Coffeeshop, mich in einen Zeitschriftenladen. Das Kaufhaus Target verlassen wir mit einer billigen aber wunderschön knallroten Pfanne, die das im Wagen vorhandene Wellblechding ablösen und für gleichmäßig gebratene Speisen sorgen soll.

Doch damit nicht genug der Zivilisation, denn der Campingplatz bietet für die zahlreichen Stammgäste einen besonders dekadenten Sevice: den Verleih von DVDs! Draußen wird es ziemlich kühl und wir machen erstmals Gebrauch von unserem Fernseher an Bord. Zu Gnocchi und Coke und einem Berg Zeitschriftensehen sehen wir (okay, mehr das Ich vom Wir) uns die Kochshow Masterchefs an (das sollte man mal für den deutschsprachigen Raum übernehmen!) und danach das immer wieder lustige Video "It's complicated" mit Meryl Streep, Alec Baldwin und Steve Martin. Gemütlich ist es in unserer Höhle, und wie! Ich glaube, wir fühlen uns langsam wieder wie Menschen. Bedenklich, oder?

 

 

 


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