99 Anfängerfehler und ein schwerer Abschied

Nach den Gewittern und Schauern am Abend hat es in der Früh gerade mal 16 Grad, dabei war gestern noch Sommer mit 26 Grad, vorgestern Hochsommer mit 41 Grad. Eine unruhige Nacht liegt hinter uns, denn wir haben erfahren, dass uns im Norden, wo wir in den nächsten Tagen hinwollten, ein Zyklon erwartet. Mit etwas Regen hatten wir zu dieser Jahreszeit ja gerechnet, aber eigentlich hätte uns der eine Zyklon an der Ostküste vor ein paar Wochen gereicht.

Wir schmökern, brüten und planen und werfen schließlich unsere Pläne über den Haufen. Auch der Südwesten von Westaustralien, der ohne Zyklon und "nur" mit einer Regenphase auskommen soll, hat einiges zu bieten, und da war auch ich noch nie.

Einigermaßen gerädert und frustriert wegen unseres Wetterpechs packen wir und ziehen gegen 8 Uhr los. Wobei das für mich sehr schwer ist. Unter irgendwelchen Ausreden gehe ich vier Mal zum Apartment zurück, in der Hoffnung, Little Max noch "tschüs" sagen und noch einmal "shake hands" mit ihm machen zu können. Beim dritten Versuch ist er tatsächlich schon heraußen, doch so wie jeden Morgen ergreift er zunächst mal die Flucht, als er mich sieht. Beim vierten Versuch sitzt er im Haus und steckt lediglich seinen Kopf zur Hundeklappe heraus und sieht mich mit seinem treuherzigen Blick an, dass ich am liebsten durch die Klappe zu ihm ins Haus robben möchte. Was wohl unsere Vermieter sagen würden, wenn sie Max füttern kommen und eine bis über beide Ohren verliebte Mieterin in der Hundeklappe feststeckt?

Auch mit meinen Schuhen, die Little Max gestern mit Begeisterung abgeschleckt hat, kann ich ihn nicht zu einem letzten Kuscheln herauslocken. Schweren Herzens winke ich ihm zu und trotte davon, nicht ohne sehr zum Unverständnis des großen Max ein paar Tränchen zu zerdrücken. Ich wusste ja, dass ich Abschiede nicht kann, frage mich, wie es kommen konnte, dass ich mich in meinem fortgeschrittenen Alter in einen kleinen Hund verliebe und vor allem, wie ich das mit den Abschieden endlich lernen kann. Vermutlich nur auf die harte Tour… Steckenbleiben in einer Hundeklappe wäre wohl eindeutig eine solche Methode.

Darauf folgen – der große Max hat Halsschmerzen, schlechte Laune und ein ungewohnt großes Fahrzeug, ich Hunger und ganz großen Abschiedsschmerz an Zyklonwut – die wūstesten Anfängerfehler seit langem. Wir müssten eigentlich noch bunkern, denn im Outback ist die Versorgung schlecht, doch zuerst finden wir keinen Supermarkt, der auf unserem Weg liegt. In letzter Minute lassen wir uns vom Garmin zu einem Woolworths führen, doch dazu müssen wir uns erstens zurück in die City quälen, um dann zweitens mit unser 3,2 m hohen Kiste nicht in die Parkgarage fahren zu können. Das war mal die Lektion "Wie verschwende ich 50 Minuten für nixundwiedernix".

In der Hoffnung, unterwegs in einer der anfangs noch eingezeichneten kleineren Städte einkaufen zu können, ziehen wir endgültig los. Dass die hunderten Baustellen, die der Umleitung des Swan River dienen, unserem Garmin nicht bekannt sind und wir ewig im Kreis fahren, ist nur ein kleines Detail am Rande, das obige Lektion erhärtet. Das größere Detail folgt, als ich feststelle, dass uns das gute Teil über eine Route führt, wo uns gewiss keine Stadt und auch kein Ort aufhalten werden. Bis nach Hyden, wo wir heute nahe des Wave Rock übernachten wollen, liegen ganze 350 km lang keine nennenswerten Ansiedlungen, also wohl auch keine Bakery oder gar ein Supermarkt. Kurz gesagt: Die letzte Etappe unserer 99 Tage Sommer steht unter keinem guten Stern, sondern einem Zyklon. Little Max, I miss you already!

Im Ort Brookton können wir zumindest zwei der heutigen Übel beseitigen. Wer jetzt an einen Supermarkt denkt, ist genauso naiv wie wir. Es ist Stumpy's Roadhouse, wo wir Max mit Butter Menthol-Tabletten und mich mit einer Sausage Roll, die gut aussieht UND gut schmeckt, glücklich machen.

Um 10:37 Uhr bewahren wir uns vor einem kapitalen Fehler, als wir gerade noch bemerken, dass unser Garmin ahnungslos ist, ganz und gar. Mit noch mehr Garmin-Hörigkeit wären wir die 138 km bis zur nächsten Kreuzung jetzt doch tatsächlich in die falsche Richtung gefahren! Wir geloben hoch und heilig, uns doch wieder mit altmodischem Zeug, wie Straßenatlas und Straßenschildern, abzugeben. Dass wir bei diesem Stopp feststellen, dass just der von uns gewählte Telefon- und Internet-Provider Vodafone hier keinen Empfang bietet, macht uns nicht viel Mut für die weiteren Outbackstopps. Vielleicht hat es ja doch etwas Gutes, dass man uns auf einen "Bus" mit Fernseher upgegradet hat. Dann können wir uns so über die Zyklone, die die Welt regieren, auf dem Laufenden halten, auch wenn es sehr dekadent ist. Andererseits: Was kann an einem Bus mit Dusche, WC, Rückfahrkamera und Safe noch dekadent sein?

Aber ohne Vodafone bin ich trotzdem nichts, zwar weniger nichts als ohne Little Max, aber auch noch sehr wenig. Da schreibe ich auf den langen geraden Strecken doch immer gleich die Blog-Highlights mit, um sie dann womöglich nicht posten zu dürfen? Aber ich sehe schon: Ab sofort habe ich als Garmin-Ablöse wieder eine Aufgabe im Leben und darf statt Blog schreiben wieder Weg suchen! Ich glaube, es gibt nicht viele Tage im Leben, wo ich um 10:38 Uhr mit gebrochenem Herzen bereits so viele Lektionen lernen durfte / musste.

Um 10:57 beschließen wir, dass Sausage Roll und Butter Menthol dem Tag eine positive Wendung gegeben haben. Max entdeckt die Freuden des Tempomat, den man auf 130 km gradaus gut brauchen kann, auch wenn alle 29 Minuten mal eine kleine Kurve des Weges kommt und ich freue mich, dass ich wieder in aller Ruhe meine Beifahrerpflichten ausüben darf: Zuckerl und Wasser reichen, Blog schreiben, Landkarte und Reiseführer studieren, nach Kängurus Ausschau halten, gut zureden, in die Welt schauen und das pralle Leben – hier eine Ausweiche, da ein Kurvenschild, dort eine Eisenbahnschild – an mir vorbeiziehen lassen. An die Weite muss man sich erst wieder gewõhnen, aber sie könnte mir auch diesmal wieder gefallen. Das wäre wichtig, denn sonst gibt es jeden Tag bereits um 11:02 drei Seiten Blog!

Der Ort Corrigin sorgt für die Überraschung des Tages. Er nennt ein Hinweisschild auf ein Town Centre sein Eigen und dieses wiederum bietet einen IGA-Supermarkt, der von Bettdecken und Nähzeug bis zu Lebensmitteln aller Art fast alles bietet, sogar glutenfreie Waren.  Nur die Brotregale überzeugen durch gähnende Leere, aber ein paar Basics können wir doch an Bord nehmen. Zeitschriften allerdings sollte man hier nicht aktuell erwarten, denn die neueste Auswahl beschränkt sich noch auf die Magazine mit weihnachtlichen Covers und Tipps für die Einhaltung der Neujahrsvorsätze.

Gegen 13 Uhr sind wir dann am Campingplatz beim Wave Rock und parken idyllisch unter mit Rosenkakadus und gelbbäuchigen smaragdgrünen Papageien  besetzten Eukalyptusbäumen. Wave Rock und das Felsplateau sind in der Nachmittagssonne besonders schön. Max kühlt sich im Pool ab und ich höre der Stille und den Vögeln zu. Und weil die Welt doch nicht so schlecht ist, wie sie ohne Little Max und Sausage Roll manchmal aussieht, lösen Tausende Sterne bald ebensoviele Rosenkakadus und Papageien ab.

 

 

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