19. Jänner 2013, posted direkt von vor dem Bulahdelah Visitors Center
Was liegt zwischen den 99 Eukalyptusbäumen und dem steifen Nacken? Heute, nach einem in jeder Hinsicht trüben Morgen und Vormittag und einer verregneten Fahrt an die Ostküste, das Highlight des Tages: ganze drei Koalas in freier Wildbahn. Denn dafür ist die Gegend um Port Stephens bekannt – als bevorzugtes Habitat von Koalas, aber auch als „official dolphin capital of the country“ (doch mit den Delfinen hatten wir hier schon einmal keinen Erfolg und werden ihn bei diesem Wetter wohl auch nicht haben). Wir ergattern auf dem One Mile Beach Holiday Park, unserem Wunschcampingplatz in dieser strad-, wasser- und campingplatzreichen Region, den letzten Stellplatz mit Strom. Noch ist Ferienzeit und damit auch Hochsaison und insbesondere an den Wochenenden ist die Buchungslage prekär.
Es ist im Vergleich zu gestern nicht nur grau und trüb, sondern auch um ganze 25 Grad kälter, wobei sich dieses „kälter“ immer noch ganz wunderbar nach Sommer anfühlt, gerade am Abend darf man sich mit dem Gedanken tragen, eine Weste zur Short anzuziehen. Nach einem Besuch der Touristeninfo in Nelson Bay und einem Fish & Chips-Imbiss für Max lassen wir uns auf einen verregneten Rentnernachmittag am Campingplatz nieder. Der Diwan alias Sitzbank ist relativ schmal, wir stehen etwas abschüssig und die Skater vor unserem Auto bieten lautstarke Unterhaltung, doch nichts und niemand kann uns an diesem herbstlichen Tag von einem Nickerchen abhalten. Das verbessert die Laune ausreichend, um endlich auf Koalajagd zu gehen. Wir beginnen mit einem Spaziergang rund um den Campingplatz, der toll am leider regnerischen Meer, dem One Mile Beach, und mitten in Eukalyptus-Palmen-Wald und Dünen liegt, bis zur Hannah Parade ums Eck, wo man angeblich manchmal Koalas sehen kann. Und tatsächlich: bereits am ersten Baum, den ich anvisiere, schlafen zwei der kleinen Kerlchen. „Love at first sight“ kann meine Gefühle für die süßen Zwerge nur annähernd beschreiben. Die größte Liebeserklärung für sie ist wohl der steife Nacken, den ich in Kauf zu nehmen bereit bin, um das perfekte Foto zu schießen.
Von diesem Koalaerfolg motiviert beschließen wir, noch einen Ausritt mit dem Auto zu machen. Im Tilligerry Nature Reserve soll eine ganze Koalakolonie wohnen. Dank des Tipps eines Einheimischen entdecken wir zumindest einen Koala in diesem traumhaften Wäldchen, genau genommen allerdings nur ein plüschiges Ohr, den Rest des Koalas können wir im Dickicht der Bäume nur erahnen. Der Boardwalk führt auch entlang des Meeres, und genau zu diesem Zeitpunkt kommt die Sonne für 20 Minuten heraus und lässt das Meer wunderbar in der Abendsonne erstrahlen. Es ist eine seltsame Stimmung, die sonnenbeleuchteten umgefallenen Bäume, die paar in der Ebbe Krabben oder anderes Meeresgetier suchenden Einheimischen und wir zwei Touris mit dem ständig nach oben in die Bäume gerichteten Blick.
Zum Abschluss des Tages besuche ich noch einmal die campingplatznahen beiden Koalas. Ich könnte schwören, der eine ist gerade aufgewacht und zwinkert mir zu. Vielleicht ist ihm bewusst, dass heute ein ganz besonderer Tag für uns ist: genau heute vor fünf Jahren sind wir zur neunmonatigen Auszeit aufgebrochen. Tja und fünf Jahre später sind wir wieder „on the road“. Da ist es dann vielleicht auch nicht verwunderlich, dass dieser Abend ein ganz besonders kuschelig-lauschiger wird. Nach dem Abendessen – der müde aber dekadente Camper wirft ein paar „Chat Potatoes“ in die Womo-eigene Mikrowelle, drückt auf die sogar dafür vorgesehene Potato-Garstufe und genießt dann Kartoffeln mit allerlei Dips, die der kleine Kühlschrank oft auch in etwas zu forsch gefahrenen Kurven so hergibt. Das wiederum liegt daran, dass dieser Apollo-Camper sehr alt ist und das im Übernahmeformular eingetragene „general wear and tear“ auf eine allgemeine Abnutzung hinweist, die ziemlich nach Untertreibung klingt – dafür, dass es sich um ziemlich neue Fahrzeuge handeln sollte. Doch es gibt fast nichts, was man nicht durch zwei Klappstühle beheben kann, etwa wenn man diese beim Fahren so vor den Kühlschrank legt und klemmt, dass ihm die Fliehkraft nichts anhaben kann – außer die Klappstühle sind zuvor durch ein abruptes Bremsmanöver ins Hintere des Fahrzeugs gerutscht.
Egal, wir lümmeln und liegen auf der äußerst bequemen Schlaffläche des Campers, von oben tropfen dicke Tropfen aufs Dach, durch die aufgeschobenen Fensterscheiben kommt der von mir heiß geliebte Duft von Campingplatz (in Wirklichkeit nichts Anderes als der Duft von sommerlich nassem Gras und der Duft von Hoffnung auf Sommer), durch das kaputte Fliegengitter ein paar „mozzies“ (mosquitos) und aus dem Laptop leise Gute-Laune-Musik. Endlich habe ich Zeit, wenn auch bei weitem nicht ausreichend Platz, um ein paar Schneidearbeiten in Prospekten sowie Klebearbeiten in meinem schönen Reisetagebuch vorzunehmen (ob der Klebstoff seine Klebekraft wirklich durch die 47 Grad verloren haben sollte?). Ich weiß nicht, wie lange diese Wettergleichgültigkeit anhalten wird (Geduld zählt ja angeblich nicht zu meinen allergrößten Stärken), aber heute und hier möchte ich auf diese Art von Regen und Regenstimmung nicht verzichten. „99 Tage Sommer“ ist schließlich nur eine Projektbezeichnung und kein Versprechen, und so lange ich ohne bedsocks schlafen kann (ich hätte gar keine dabei, denn ich bin ja in den Sommer gefahren), ist dieses Projekt im grünen Bereich.
Nur eine kleine Eingebung im Schlaf wünsche ich mir: das Wissen, wann ich am nächsten Morgen wieder in die Hannah Parade auf Koalabesuch gehen soll, um die kleinen Kerlchen vielleicht sogar in Aktion zu sehen, doch ich schlafe wie immer im Camper bisher tief und fest. Wer Schlafprobleme hat, sollte es mit dieser Art von Urlaub versuchen, dieses Rezept könnte ich mir patentieren lassen und zugehörige Campervans als „Sleepwell-Vans“ mit liebevoll dekorierten Kissen, einem kleinen vorgebackenen Muffinsortiment im Tiefkühlfach, einem kleinen Tagebuchfach für wichtige Gedanken für die Ewigkeit und einem zweiten, versperrbaren Fach für unwichtige Gedanken sowie einer kleinen Auswahl an Büchern sowie Musiktiteln für die optimale Entspannung – nur für den Fall, dass Kakadus, Papageien und Co ihrer Aufgabe einmal nicht gerecht werden und man doch Lust auf weltliche Unterhaltung in Papier- und Klangform bekommt – vermieten. Könnte ich jemanden für dieses Konzept begeistern?
P.S. Die Länge des Blogs ist leider tatsächlich ein Beweis für das schlechte Wetter. Die Seltenheit und Unregelmäßigkeit der Blogs derzeit ist auf die schlechte Wifi-Situation an der Ostküste zurückzuführen, da sich die Campingplätze, wenn sie denn Wifi haben, dieses sehr teuer bezahlen lassen, und Max‘ Handy-Datenvolumen auch relativ begrenzt ist und Vodafone etwa am Campingplatz vom One Mile Beach keinen Empfang bietet.
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