99 Shopping-Versuchungen und mehr als eine Niederlage

Die größte Angst jedes Schriftstellers oder Autors ist bekanntlich die Schreibblockade. Auf früheren Reisen hatte ich schon Bekanntschaft mit einem verwandten, ebenso beängstigenden Phänomen gemacht: der Buchkaufblockade. Ich ging in Buchgeschäft um Buchgeschäft und fand nichts, was mich anlachte. Ein absolutes Novum in meinem Leben, vergleichbar mit dem befremdlichen Nachgeschmack von englischem "Ale" beim allerersten Versuch (okay, nach JEDEM Versuch). Die Fragen, die sich dabei auftun, sind ähnlich gelagert: Was IST das? Wem GEFÄLLT das? Auf der aktuellen Reise konnten mich Buchgeschäfte auch noch nicht wirklich begeistern, doch das schrieb ich bislang eher der Tatsache zu, dass ich a) noch genug Bücher von zuhause auf Lager habe und b) reichlich Kochmagazine als Literatur auf meinem Nachttisch staple.
Was sich in Hongkong bereits abzeichnete, sollte sich in Sydney nicht nur in Bezug auf Bücher bestätigen (wobei ich mich, siehe oben, in Sachen Kochzeitschriften aber sehr gut hielt): Ich hatte keine rechte Lust auf Shoppen, um nicht zu sagen eine ausgewachsene Einkaufsblockade oder auf gut Englisch:; "shopper's block" in Anlehnung an den "writer's block". Ich ging zwar in diverse Geschäfte hinein, verließ sie aber zumeist sehr rasch wieder, ohne die sonst übliche Inspiration der einen oder anderen Art (wenn man mal von der kreativen Schaufenstergestaltung mancher Läden absieht). Da ich nicht dachte, dass es an meiner zugbedingt schmerzenden Schulter oder der bewölkten Wetterlage lag, begann ich doch allmählich, mir Gedanken und einen kleinen Anflug von Sorgen zu machen. Was war aus mir geworden? Wo sollte das hinführen? (Auf Begeisterungslosigkeit? Auf Uninspiriertheit? Oder gar auf Reichtum?) Gerade vor Weihnachten finde ich es immer so schön, dann, wenn ich für alle meine Lieben bereits alle Geschenke liebevollst verpackt oder diese gar überreicht habe, auch mir ein wenig Anerkennung zu zollen – in Form des einen oder anderen kleinen Geschenks. Sollte das heuer, gerade in Sydney, anders sein? Noch dazu, wo ich vorab von lieben Verwandten mit diversen weihnachtlichen Geldspenden auf Reise geschickt wurde?
(Meine Lieblingsauslage in Mosman, einem netten Viertel mit hübscher Einkaufsstraße, damals – also gestern – noch mit Shopping-Blockade.)

Nein, ist es gar nicht, kann ich mich an diesem 22.12. abends, nach einem Solotag durch die Stadt (Max wollte heute lieber mit WordPress spielen und unsere neue Website ins Leben rufen) und insbesondere über ihre zwei besten Märkte, beruhigen. So sehr beruhigen, dass ich nach dem Heimkommen kurz versucht war, meine Errungenschaften in ihren kleinen Papier- oder Plastiksäckchen unter den "Christbaum", in unserem Fall rund um ein gefülltes Wasserglas zu legen, in das ich Frangipani-Blüten gesetzt habe und um das herum ich 20 cm rosa-goldenes Lametta drapiert habe, das ich auf der Fähre gefunden habe. Da wäre bei der Vielzahl an heute entdeckten Kleinigkeiten übermorgen sicher auch für mich die eine und andere Überraschung dabei gewesen. Doch nein, nur zwei kleine Päckchen landen auf dem Gabentisch neben dem Geschenk, das uns meine Eltern mitgegeben haben, und unseren eigenen Geschenken füreinander. Eines ist eine Errungenschaft vom wunderbaren The Rocks Market, die ich ganz entzückend finde und Max hoffentlich sehr praktisch finden wird. Das andere ist ein textiles Geschenk nur für mich, das aber besser mit Bedienungsanleitung geliefert hätte werden sollen. Auch wenn mir die netten Damen auf dem Paddington Market dessen Verwendung vor Augen geführt haben – so ganz genau weiß ich nicht, ob ich das so hinbekommen werde. Ansonsten: der vermutlich hübscheste Australien-Schlüsselanhänger der Welt (ähnlich dem aus Hawaii, von dem ich im Sommer auch den letzten Anhänger verloren habe), einige unabdingbare Magnete mit Australien-Motiven, ein paar australisch angehauchte Weihnachtskarten, und vier weitere einfach-nur-so-schöne Karten und zwei tolle Ketterl, denen ich einfach nicht widerstehen konnte: ganz meine Farben (orange bzw türkis), leicht im Aborigines-Stil, aber doch modern. Als Belohnung für die Überwindung der Einkaufsblockade gönne ich mir noch eine Banoffi Tart, die ich bislang immer nur durch das Schaufenster des geschlossenen Ladens bewundern konnte und setze mich damit mit Blick auf Oper und Brücke auf eine Bank und genieße das bewölkte, aber wunderbar zeitlose Leben im Jetzt, im Hier und in Sydney.

(Der Trockenblumenstrauß nach umstrittener weil nicht ganz geruchsfreier Feng Shui-Yogi-Trocknungsmethode stammt von unserem Vermieter.)
 
(Das entzückend-praktische Geschenk kam leider sehr undekorativ verpackt, das textile Geschenk für mich wurde auf der originellen Verpackung von der Designerin handsigniert.)
 
 
Und noch eine weitere Sorge konnte ich heute aus dem Weg räumen. Bei meinen Spaziergängen durch Sydney hatte ich in den letzten Tagen fast zu befürchten begonnen, dass man tatsächlich (siehe früheres Blog und Max' hochwissenschaftliche Ausführungen) nach meinem letzten Besuch einiges abgeschafft hatte, was sich nach der Abreise von Andrea F. vielleicht nicht mehr zu produzieren gelohnt hätte, so womöglich auch die himmlischen Lemon Meringue Pies oder köstlichen Friands. Heute dann die große Erleichterung: Die Vielzahl an Bäckern (besonders gefällt mir der Name "Grumpy Baker", owobhl ich diesen immer nur vom Bus aus sehe), verstehen ihr Handwerk noch immer bestens und produzieren tolle und leckere Dinge, darunter auch die neu entdeckte Banoffi Tart. 
 
Und weil es mir nicht nur gelungen ist, meine kleine Shopping-Blockade zu überwinden, sondern auch zu verhindern, dass ich danach tot ins Bett falle, bin ich nach dem Heimkehren gegen 16 Uhr noch fit genug für einen Strandbesuch. Endlich hat sich die Sonne herausgewagt und lässt den Himmel für eine ganze Stunde in strahlendem Blau erscheinen. Die Kombination aus dieser Fülle überlappender Adrenalinschübe – Shopping, Banoffi Tart, Sonne, blauer Himmel – macht mich nicht nur glücklich, sondern auch übermütig. Ich bin wild entschlossen, endlich mal das Meer quasi vor unserer Haustüre zu erkunden, und zwar nicht nur mit dem Kameraobjektiv. Dieses Projekt scheitert aber im wahrsten Sinne des Wortes kläglich und zwar bereits nach dem ersten Kontakt von Wasser und Zehen. Natürlich wusste ich, dass es sich hier um den Pazifik handelt und dieser eher ein unterkühltes Wesen sein Eigen nennt, aber andererseits neige ich auch dazu, großen Mehrheiten, in diesem Fall geschätzten 824 glücklich im Meer schwimmenden, planschenden oder surfenden Einheimischen – zu vertrauen. Weit gefehlt. Aber der warme, superfeine Sand macht sich auch unter meinem Badetuch, zwischen meinen Zehen und den Seiten meines Buchs sehr gut. Und der Blick auf den süßen, mobilen Eisladen mit "Möwenbesatz" spiegelt ein bisschen mehr Hochsommer vor, als eigentlich der Fall ist.
 
Und jetzt mache ich gleich wieder das, was hier am meisten Spaß macht: ich lege mich ins Bett. Denn aus dem Bett hat man über den Rand des Buchs hinweg einen wunderbaren Blick auf die Bucht von Bondi! Dass nebenan große und lautstarke Party ist, sollte uns davon hoffentlich nicht abhalten.

 


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