So viele Jahre habe ich davon geträumt, Weihnachten in Sydney zu verbringen. Nun ist es soweit. Obwohl es sich gar nicht weihnachtlich anfühlt. Selbst im Vergleich zu Hongkong ist die städtische Dekoration quasi nicht existent, nur vereinzelte rote Ringelsocken, Rentiergeweihe und Weihnachtsmützen beleben das Stadtbild. Die Häuser sind fast gar nicht dekoriert und wenn, dann stehen sie in keinem Vergleich zu den bunt blinkenden Puff-Beleuchtungen der Wiener Viehtriftgasse oder den monumentalen Beleuchtungen der Wiener Einkaufsstraßen. Seltsam. Seltsam ist auch das Wetter. Sommer, da denkt man doch an Shorts und nicht viel mehr. Hier stimmt das über weite Strecken auch – zumindest bei den Einheimischen und insbesondere jenen des männlichen Geschlechts, wenn man mal von den nahezu obligaten Surfboards unter dem Arm absieht. Die Mädels tragen zumeist doch ein paar Zentimeter Stoff, die notfalls als Oberbekleidung durchgehen könnte. Auf Schuhe wird tatsächlich weitgehend verzichtet und wenn, dann sind es höchstens Flipflops, aber mehrheitlich laufen die einheimischen Jungs und Mädels, die bereits Ferien haben, tatsächlich barfuß durch die Straßen.
Unsereins hingegen friert morgens und abends, wenn die Bewölkung zumeist stark ist und jegliche Sonne fehlt und durch einen sehr kühlen Wind ersetzt wird. Man merkt: wir haben zwar nicht den Pigmentmangel, der den Einheimischen zu ihrem hellhäutigen, um nicht zu sagen kasigen Look verhilft, sondern uns fehlen ganz generell die englischen Gene, die für eine ausreichende Kälteunempfindlichkeit – oder ist es simple Ignoranz? – sorgen. (So sitze ich spätabens nun in der Jeansjacke vor dem Laptop, denn meine einzige Weste befindet sich gerade in der Waschmaschine.)
Die Kinder sind frei von Temperatursorgen aller Art: sie spielen Sand, planschen im Wasser, leeren sich eimerweise kaltes Meerwasser über die Köpfe, laufen hemmungslos mit ihren Boards in die Wellen oder tragen stolz Rentiergeweihe durch die Stadt. Stolz sind auch die Eastern Sea Dragons, von deren Existenz wir bislang nichts wussten. Einige Schilder am Weg von Manly Beach zum Shelly Beach weisen uns darauf hin, dass es untersagt ist, Eastern Sea Dragons als Haustiere zu halten. Ach, echt? Tatsächlich erspähen wir einige und ich verfalle in das in Curacao entdeckte Wenn-ich-nur-aufhören-könnte-Syndrom in Sachen Leguanfotografie, gelobe hiermit aber, nicht immer alle Fotos von den süßen Urgesteinen zu veröffentlichen.
Überhaupt ist es ja so, dass man durch unsere Art des Reisens und Wohnens immer wieder mal eine neue Identität annimmt oder übergestülpt bekommt. Diesmal sind wir etwa in einem Apartment eines eingefleischten Yogis gelandet, der sich anscheinend ebenso spartanisch ernährt (ganze 3 Teller und 3 Konservendosen im Gegensatz zu rund 28 esoterischen Gewürzen sprechen Bände) wie einrichtet. Es gibt demzufolge keinen Schrank, keinen Esstisch und außer einem Sofa und einem Fauteuil nur zwei Klappstühle, die zum Schreibtisch gehören. Auch die Beleuchtung tendiert eher dazu, sich spartanisch zu zeigen, nur die verblichenen Räucherstäbchen riecht meine räucherstäbchenallergische Nase viel zu gut. Das stellt mich vor monumentale Fragen in Sachen Weihnachts- und Silvestermenü, für die ich allerdings die ersten großen Hürden schon genommen habe: den Erwerb von einem Dutzend (in Zahlen: 12) dicken australischen Kochheften, aus denen ich abends im Bett versuche, ein passendes Menü herauszusuchen. Angesichts der gelinde gesagt unterdurchschnittlichen Ausstattung der Küche suche ich inspirierende Rezeptideen, die ohne Mixer, Schneebesen, Waage oder Kuchenformen auskommen, die man mühelos auch auf den paar schmucklosen graugrünen Tellern fotogen in Szene setzen kann und natürlich mit weniger als 5 Zutaten auskommen und dennoch würdig sind, den Titel "Weihnachtsmenü" zu tragen. So schmökere ich also zwischen "Chrissy Classics" (hier wird alles abgekürzt, auch Christmas) und "Christmas made easy", zwischen "The Ultimate Christmas Feast" und "Christmas Entertaining", zwischen "Season to Celebrate" und "Delicious Summer".
Um mich dem Gedanken an Weihnachten langsam zumindest mental wenn auch noch nicht menütechnisch anzunähernn, habe ich in einem Anfall vorsichtiger Innendekorationsbemühungen zwei kleine Schnabeltieraufhänger mit Weihnachtsmützchen auf die zwei Feng Shui-Kerzenleuchter an der Wand gehängt, meine Handtasche trägt ein Stücken Lametta, das ich auf der Fähre gefunden habe und die einzige Schale hier wurde durch Marillen, Nektarinen und Kirschen zu einem so genannten "Centerpiece", wie die Eyecatcher-Arrangements auf hübsch arrangierten Tischen genannt werden – bloß, dass es hierzu keinen geeigneten Tisch gibt. Insgeheim befürchte ich zwar, dass ich mit meinen Ambitionen das Chi hier ein wenig durcheinander bringe, doch da es aber im Badezimmer Fenster gibt, die das ganze Jahr über offen sind, weil sie lamellentechnisch fix so designt wurden, fließt das Chi vermutlich schon vorher zum Fenster hinaus, bevor es meinen Weihnachtsschnabeltieren oder meinen Obstdekorationen erliegt.
Ansonsten dominieren Wolkenstimmungen das Paradies, was dem Vergnügen des Zeithabens, des Schau-ma-mals und Spontanseins im Allgemeinen keinen Abbruch tut. Am ersten richtigen Tag in Sydney, übrigens auch dem ersten richtig ausgeschlafenen (da der Mörderlärm auf der Baustelle nebenan dankenswerterweise erst Punkt 9 Uhr beginnt), zieht es uns dann auf große Fährenfahrt. Mit dem Bus fahren wir zur hübschen Watson's Bay, von wo die Fähre in die Stadt ablegt. Von dort geht es weiter mit einer anderen Fähre nach Manly, jenem Traumort, in dem wir vor 4 Jahren mal 2 Wochen gewohnt haben. Ein bisschen fühlt es sich dann auch an wie heimkommen.
Hier kommt dann Max' Part, der seine eigene Theorie dazu hat, warum seit damals einige meiner Lieblingsläden und -lokale zusperren mussten: (Max: Meinen Insider-Informationen zu Folge waren weder die speziellen Läden wie z.B. der Angus & Robertson-Buchladen am Beginn des Manly Corso oder das Cafe Steyne noch die Lemon Meringue Pies jemals wirklich existent in Sydney. Nach 1994 wurden diese potemkinschen Dörfer nur zu einem einzigen Zweck errichtet: für den lange erwarteteten Staatsbesuch von Andrea from Austria! Als dieser zwischen Mitte März und Mitte Juli 2008 endlich stattfand, konnten die Sydneysider danach erleichtert aufatmen, das Zeugs wegräumen und zum typischen australischen Leben ohne kulinarischem Schnickschnack und Weihnachtsdeko zurückkehren. Salzarme fleischige Pies, versalzene Butter, tonnenschwerer Xmas-Pudding, rote Bete zu jedem Essen und keine Weichei-Desserts für echte Blokes & Sheilas, sondern Hopfen-Kaltschale von Fosters. Auch Weihnachtsdekoration gibt es in Sydney nicht und hat es nie gegeben, die letzten Reste hat man im Sommer 2008 vergessen wegzuräumen. Warum sich Fotos davon in diverse Magazine verirrt haben, ist leicht erklärt: da diese auch nach WIen zu Andrea F. geliefert werden, werden sie mit solchen Fotos gedruckt. Da wir unangekündigt in Sydney aufgetaucht sind, konnten die bereits an die News Agencies und Buchläden ausgelieferten Exemplare nicht mehr rechtzeitig eingezogen und vernichtet werden;-) )
Nur ALDI musste nicht klein beigeben, und da der Standort in Manly eine der wenigen Filialen in der Stadt ist, schlagen wir ordentlich beim Obst zu, das sonst überall noch viel teurer ist. So kommt es also, dass wir den ganzen Nachmittag mit einem Rucksack bunten, vitaminreichen Inhalts durch die Stadt flanieren, wenn man von den 500 g Frühstücksspeck (allerdings 97% Fat-free) und einer dicken Stange Wurst absieht. Mit diesem ziemlich gesunden Rucksack besuchen wir dann den Paddington Christmas Market, der so viel mit Weihnachten gemeinsam hat wie ich mit spartanischer Einrichtung oder Max mit einem koffeeinfreiem Leben. Außerdem schaffen wir es heute rechtzeitig in den süßen Donna Hay-Laden, den Laden der australischen Kultköchin, den ich aber ohne jeglichen Einkauf verlasse. Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Oder ist das die shoppingtechnische Ruhe vor dem großen Sturm?
Dieser kommt dann auch, allerdings nur im wörtlichen Sinn. Während wir wie gestern schon auf dem Heimweg nach Bondi in der Westfield Shopping Town Halt machen und oben genannte weihnachtliche Schnabeltiere erstehen (die ganze restliche Weihnachtsdeko ist längst ausverkauft, wie die leeren Regale in der Christmas-Abteilung beweisen) und unser Abendessen im tollen Foodcourt mit Blick auf die Stadt einnehmen, setzt draußen nämlich ein gewaltiger Sturm ein, der uns ziemlich frösteln lässt. Sogar der Bondi Beach ist nahezu leer gefegt, als wir 20 Minuten später zuhause ankommen, nur ein paar Kite Surfer nutzen die Gunst der stürmischen Stunde. Ich beobachte sie später vom Bett aus, von wo man einen herrlichen Blick auf die Bucht von Bondi hat. Ein ganz klein wenig tut es mir allerdings heute doch Leid, dass ich keine zweite Weste (die erste hat der Herr des Hauses soeben in den Keller gebracht – zum Waschen, versteht sich) oder gar dicke Socken mitgenommen habe. Sommer ist bislang eben doch ein sehr relatives Konzept.