Die Notizen der Möglichkeiten für einen Schlechtwettertag wie heute lesen sich wie folgt: Staub saugen, Admin erledigen (Zahlungserinnerungen an Kunden), Wäsche waschen, Travel Sketching-Kursvorbereitungen, Zettel sortieren/einkleben, was Gutes kochen, das kleine Plastik-UFO als Badewannenstoppel ausprobieren, das hauseigene Mini-Gym aufsuchen, mich im Regen am Dach in den Whirlpool setzen, Verschönerungsarbeiten an Haar und Körper vornehmen (lassen).
Als ich aufwache, regnet es nur leicht. Seltsam. Bei der Prognose von Starkregen ist man hier eigentlich perfekt. Da mir gerade der Klebstoff ausgegangen ist, erkiese ich die Beschaffung von neuem Klebstoff zur Mission des Tages – nachdem ich bereits Staub gesaugt, ein bisschen herumgeräumt und herumgeklebt und Reklamationen an meine Kunden gesendet habe. Ich ziehe nur das Minimum an, schnappe den Schirm und ziehe los. Der Großteil der Strecke zum Newsagent, der auch allerlei Papierwaren führt, verläuft unter Arkaden und ist nur halb so schlimm. Ich wäre ja sogar bereit für einen kleinen Strandspaziergang im Regen, doch ich belasse es dann doch lieber beim Konjunktiv.
Was ich unterschätzt habe, ist der Nässegrad der Füße nach nur 1 Minute, denn überall stehen riesige Lacken und was ich ebenfalls unterschätzt habe, ist, wie sehr man mit Flipflops rutscht – in den Schuhen als auch mit den Schuhen. Ich schlittere also zum Klebstoff und will weiter zum Supermarkt, doch plötzlich gießt es so arg, dass ich mich nur mehr in die nächste Passage rette und beschließe, bei der Mini-Bakery gleich beim Apartment frisches Gebäck zu besorgen. Wenn schon Cocooning, dann richtig. Das erweist sich als gute Idee, denn der French stick (ein Baguette) wird obwohl gut verpackt auf den paar Metern nach Hause unglaublich nass. Meine Flipflops (oder sind es meine Füße?) quietschen wie ein zähneknirschender Alligator. Schnell schnappe ich mir noch die Gratiszeitung „Manly Daily“, die netterweise direkt im Haus aufgelegt wird und ziehe mich mit meiner Beute – Klebstoff, Baguette, Zeitung – ins Apartment zurück. Ein Zusatzproblem ergibt sich daraus, dass mein Regenschirm genau heute den Geist aufgibt und man diesen nur durch quasi senkrechtes Hochhalten des nur leicht, aber doch muskelbekatzten Arms aufgespannt halten kann, da die Aufspannvorrichtung nicht mehr einrastet (und zudem zwei Ärmchen gebrochen sind – vermutlich aus Langeweile während der letzten Schönwettertage).
Ein bisschen fühlt es sich so an, wie wenn man nach ein paar Krankenstandstagen noch einen Tag „frei“ nimmt, obwohl man sich gar nicht mehr sooo schlecht fühlt und dann zuhause allerlei Dinge tut, zu denen man sonst nie kommt. Im Bett sitzend frühstücken, Zeitung lesen und Frühstücksfernsehen schauen – und wieder einmal feststellen, dass dieses wirklich erbärmlich ist. Aber mir bleibt ja immer noch der Klebstoff…
Als mir aber auch damit fad wird und der Regen grad wieder mal nachlässt, ist Zeit für eine Verschönerung. Zwei Ecken weiter gibt es ein Nagelstudio, bei dem man sich ohne Termin eine Pediküre und Farbauffrischung gönnen kann. Ein wunderbar interkulturelles Erlebnis: Man sitzt eng gedrängt in Reih und Glied, muss die Handtasche (ich hoffe, nur aus Platzmangel vor dem Platznehmen abgeben), wird asiatisch angeschwiegen und im Anschluss stellt man seine Füße an einer Trockenbank unter so etwas wie kleine Ventilatoren zum Trocknen das Lacks. Plötzlich geht der Regen in ein wahnsinniges Gewitter über, und während meine Füße trocknen, kann ich vor dem Laden zusehen, wie sich die Abflüsse verstopfen und innerhalb der 10 Minuten Lack-Trockenzeit das Wasser 15 cm hoch steigt, während es mit lautem Donner dröhnt, der nur gelegentliches Gekreische der von den Wassermassen überrumpelten Passanten durchdrungen wird. Ein junger Mann scheint auf dem Wasser dahinzugleiten, bis ich erkenne, dass sich unter der Wasseroberfläche ein Skateboard befindet!
Die wenigen Menschen, die noch unterwegs sind, staksen barfuß durch das Wasser, das schließlich auch in das Nagelstudio rinnt – in Strömen! Ich warte noch ein wenig zu, gebe aber bald auf. Die „severe weather warnings“ für Sydney bewahrheiten sich also langsam. Ich nehme die Flipflops in eine Hand, den sinnentleerten Schirm in die andere und stakse bis über die Knöchel in strömendem Wasser zurück ins Apartment. Was bleibt und immer dringender wird, ist die Frage, wie ich es einigermaßen bis in den Abendkurs schaffe – 10-15 Minuten bei diesem Regen? Ich male mir dutzende Sackerl-in-Sackerl-Szenarien aus, um vielleicht trockene Ersatzkleidung und vor allem auch mein Skizzenbuch trocken befördern zu können. Der kaputte Regenschirm ist da keine gedankliche Hilfe. Der Sonnenschirm vielleicht, den ich heute beim Manipulieren mit dem Staubsauger gefunden habe? Oder, jippie, einer der drei Regenschirme, den ich bei der neuerlichen Suche im Apartment hinter dem Bügelbrett gefunden habe? Vielleicht sogar alle drei, denn die derzeitige Regenart erinnert im Ansatz an die diversen Zyklonanfänge, die Max und ich in Australien bereits erleben durften – auch an die Fernsehberichte, die wir nach der gelungenen Flucht vor dem Zyklon in Brisbane im kurzfristig gemieteten Apartment im Fernsehen gesehen haben – mit offenem Mund, wie schnell Unwetter hier kommen und alles zum Erliegen bringen. Eine Dame, mit der ich unter einer einigermaßen regengeschützten Arkade kurz ins Gespräch über das Wetter komme, erzählt mir, dass sie gerade in einer Kirche Unterschlupf gesucht hat, aber gehen musste, weil es hineinregnete… In den Nachrichten höre ich von „severe thunderstorm warnings“ and „massive flash floods in Sydney“. Der schönste Anblick heute, abgesehen von meinen frisch lackierten Flipflopzehen, werden wohl die drei Regenschirme bleiben!
Wie auch immer: Ich versuche, mich an den brüderlich-schwesterlich verordneten Neujahrsvorsatz „Let’s cross that bridge when we get to it“ zu halten, wobei der Gedanke mit der Brücke heute nicht eine gewisse Ironie entbehrt.
Im echten Leben und sogar im Wohnmobil würde ich jetzt versuchen, echtes Comfort Food zuzubereiten – einen Schokokuchen etwa oder irgendwas Schokiges, Warmes. Doch obwohl ich bei der hiesigen Mikrowelle nun endlich herausgefunden habe, wie man sie in Betrieb nimmt, wüsste ich nicht, wie ich ihr – noch dazu ohne passende Zutaten – einen Schokokuchen entlocken sollte. Und das würde ich gerne tun, ohne mich – erstmals hier – mit Internetproblemen herumzuschlagen, wobei, ich gebs zu, es ganz alleine meine Schuld ist. Immerhin komme ich irgendwann drauf und kann mich dann wieder dem Leben im Bett hingeben. Und wache auf mit einer behelfsmäßigen, aber immerhinen Idee für etwas Comfort Food aus vorhandenen Zutaten: wunderbar fruchtiger Pfirsich in Stücke geschnitten, mit etwas Caramel Dip beträufelt und mit zimtreichen Müsli-Clusters getoppt!
Ich lese mein Buch aus, sehe noch mehr fern (sinnlos) und bilde mich in Sachen interkulturelle Abkürzungen und weiß jetzt zum Beispiel, wofür in Kontaktinseraten die Abkürzungen GSOH, WLTM und VTPR stehen: GSOH – good sense of Humor, WLTM – would love to marry, VTPR – view to permanent relationship – Aspekte, die es meines beschränkten Wissens nach in unserer Kultur alle nicht gibt. Nach dieser Bildungsoffensive bleiben immer noch drei Stunden bis zum Kursbeginn, und die Wettermeldungen im Fernsehen machen mir nur wenig Hoffnung.
Um 16 Uhr aber hört es auf zu regnen. Gut für meine schon sehr unruhigen Füße, die es ja mittlerweile gewohnt sind, täglich mindestens 7 km zu gehen und auf etwas Auslauf bestehen. Ich beschließe, mein iPad über die mit einem kostenlosen WLAN ausgestattete Fußgängerzone „Gassi zu führen“, um mal meine Dropbox zu aktualisieren. Das dauert seine Zeit, um nicht zu sagen, geht total langsam, bis ich bemerke, dass der Empfang offensichtlich direkt vor meiner Haustür am allerbesten ist. Und jetzt: ein paar schüchterne Sonnenstrahlen, die mir Hoffnung machen, trocken in den Kurs zu kommen. Über den Rückweg denke ich noch nicht da – es sind nämlich für Abend und Nacht weitere massive Regenfälle angesagt.
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