Heute Morgen: Regen, Regen, Regen, in allen Lautstärken, vor allem in den unerbittllichen Tonlagen Plitsch, Prassel und Klatsch. Und das in einer Gegend, die uns vor wenigen Tagen erst mit einer solchen Stille empfangen hat, dass das größte anzunehmende Verbrechen (das Super-GAV) das Überfüttern einer Ente darstellte. Nach einem gemütlichen Frühstück zeigen sich dann erste blaue Fleckchen am Himmel. Wir packen alles aufs und ins Auto (über die genaue Verteilung sind wir uns wie immer nicht ganz einig) und fahren nach Glowe, von wo aus wir per Fahrrad auf der Schaabe zum Kap Arkona (und leider auch wieder zurück) radeln wollen.
Leider, weil es ist wie immer: die Hinfahrt geht recht flockig voran, vorbei am hübschen strandkorbbesetzten Strand von Juliusruh, reetgedackten Häuschen, weißen ebenfalls reetgedeckten Pfarrkirchen, alten Grabhügeln, orange bebeerten Sträuchern, die wir trotz ihrer fehlenden Dornen für Sanddorn halten, zwischen den Ufern verschiedener Bodden-Gewässer, hoch über der Steilküste über idyllische Weiden mit Pferden, Schafen und Kutschen bis hin zu einem wunderschönen Aussichtspunkt auf das Kap Arkona mit seinen sonnenbeleuchteten (!) Kreidefelsen. Wir balancieren unser Räder zwischen tiefen Lacken und unkontrollierten Fußtouristen durch, wobei uns glücklicherweise nur erstere mit unschönen Schlammspritzern bis in Schulterhöhe auf unseren Jacken bedenken. Zweitere bedenken uns hingegen mit befremdeten Blicken, weil wir a) den Altersdurchschnitt wieder mal gewaltig senken und b) eben nicht zu Fuß unterwegs sind. Das lässt uns kalt: wir freuen uns über das unerwartet herrliche Wetter. Allzu gerne würde ich aus diesem recht erbaulichen Wetter ableiten: Wer Gummistiefel kauft, bekommt schönes Wetter. Doch die Wetterprognose besteht auf einer kleinen Einschränkung: Wer Gummistiefel kauft, bekommt vielleicht für ein paar Stunden schönes Wetter. So ist es dann auch; wir haben tatsächlich Riesenglück. Kaum ins Auto eingestiegen, beginnt es leicht und mittelstark zu regnen, die grauen Wolken übernehmen das Kommando – zumindest vorübergehend, aber jedenfalls so energisch, dass mir dies am Rad sicher keine Freude bereitet hätte!
Doch zwischen dem Kap Arkona und dem Auto liegen harmlos scheinende 17 km, die uns dann aber doch fordern. Nach einer Backfischpause am Kap Arkona folgt nämlich die ernüchternde Erkenntnis: der beim Hinfahren kaum spürbare Wind ist in die Gegenrichtung ein ausgewachsenes Monster. Er bläst über die nackten Felder, dass ich mich richtig seitlich dagegenlehnen muss. Würde der Wind, was er natürlich zu keiner Sekunde auch nur im Geringsten in Erwägung zieht, mal kurz nachlassen, würde ich umfallen wie ein Brett, mich panieren in den Schlammlacken der letzten Tage. So aber erinnert mich das Abenteuer eher an Surfen im Trockenen. Auch die Versuchung, einfach vom Brett zu gleiten und das Brett schwimmenderweise ins Trockene zu bringen, kommt mir in den Sinn. Der einzige Mensch, mit dem ich meine mögliche Verzweiflungstat besprechen könnte, ist ein unermüdlicher blauer Punkt in weiter Ferne – vor mir, versteht sich. Angesichts des lautstarken Sturms befindet sich der Liebste bald außer Sicht- und Hörweite. Dabei hätte ich was Wichtiges zu sagen: der Weg stimmt nicht. Ich mag ohne Orientierungssinn ausgeliefert worden sein, aber mein fotografisches Gedächtnis ist top. Und dieses gibt mir unzweifelhaft zu verstehen, dass wir auf der anderen Uferseite durch Breege gekommen sind. Als ich endlich so weit aufgeschlossen und ausgeschnauft habe, dass ich mich wieder verständigen kann, ohne dem "Rasenden Roland", der hiesigen Dampflok, Konkurrenz zu machen, sind wir gute 4 km in die falsche Richtung gefahren. Das heißt, die Richtung wäre perfekt, wenn wir denn bereit wären, den Bodden nun schwimmend und mit den Rädern an der Hand zu überqueren, was sich bis Weihnachten knapp ausgehen könnte. Also machen wir kehrt und strampeln uns auf insgesamt 37 km ab.
Die Heimfahrt wird dann zum besagten Erfolgs- oder vielmehr Glückserlebnis, denn kaum im Auto beginnt es zu regnen. Sind wir nicht Glückspilze? Dieses Timing hat man nicht oft. Wir machen noch einen kurzen Versorgungsstopp, ehe wir gen Dusche und Terrasse, dann wieder sonnig!, heimsteuern. Der Weißwein schmeckt in der Abendsonne besonders gut, und die Wasserspiele bringen mich dazu, schweren Fußes doch noch ein paar Schritte vor die Haustür zu machen. Auf der richtigen Seite, versteht sich, denn terrassenseitig würde ich nur den gierigen Enten Konkurrenz zwischen den Algen machen.
A propos Getier: am Abend baumeln uns die Spinnen beim Öffnen der Terrassentür wieder ins Gesicht, auf den Bauch oder sonstwohin, und kaum meint Mann sie entfernt zu haben, klettern sie schon wieder fröhlich hoch, nehmen Fahrt auf und schwingen sich rachsüchtig ins Warme. So hat eben jedes Heim seine Tücken!
Außerdem bin ich heute wieder auf einen ach so sprechenden Namen gestoßen: "Blumeneck Helga Blühtgern"! Gut oder? Wurde die Dame wegen ihres Namens Blumenhändlerin oder hat sie mit der Hochzeit auf den Prinzen mit einem passenden Namen gewartet? Das sind für heute nun aber die letzten Gedanken in ganzen Sätzen. Der immer noch laut vor sich hinpfeifende Wind unterbricht jeglichen Gedankenfluss und lässt mich hoffen, dass es im Schlafzimmer etwas ruhiger zugeht. Gute Nacht!