I love summer, part X

Es begab sich an einem Hochsommertag am Fuße der beachtlichen Burg Clam in Oberösterreich. So beginnt ein Blog-Eintrag, der mein unermessliches Verwundern über die Darbietungen der Anwesenden beim Classic Rock Concert in Worte zu fassen versucht, während mir auch noch am Tag danach die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben steht. Soviel nur vorweg.

Dass sich mit den Classic Rock Bands wie Uriah Heep, Manfred Mann's Earth Band und den Doors (bzw. was davon übrig blieb) betagte Herren auf die Bühne begaben, denen man die brütende Hitze nicht mehr zugetraut hätte, vielmehr aber die rund 50 Krücken, die ich zufällig letzte Woche bei einem Flohmarkt der Wiener Magistratsbehörden neben etwa 100 Gehstöcken aller Jahrgänge und Modelle entdeckte (auch das nur nebenbei), ist eine Sache. (Vermisst die eigentlich wirklich niemand???)

Die andere aber ist die Hemmungslosigkeit, zu der die hauptsächlich ebenfalls sehr betagten Herren im Publikum fähig waren. Mann zeigte Bein, viel zu viel für meinen Geschmack, und auch Fuß – und die wenigen, die den Anstand hatten, ihre Füße zu verbergen, taten das zum Leidwesen aller anderen Menschen in dunklen Socken, die zwischen Shorts und Sandalen ihre Beine verunzierten.

Des Weiteren zu beobachten: eine unglaubliche Fülle von Tattoos, die größtenteils noch aus der Zeit stammten, als diese noch Tätowierungen hießen und im Selbstversuch im Keller mit der Stricknadel geritzt wurden, mit der man sich zuvor die Ohren für das erste Flinserl der Stadt gestochen hatte. Da diese ungelenken Rohskizzen von gewagten Schlangen und Ganzkörperdrachen nun dank Bierbauch und anderer körperlicher Veränderungen rund um das Stichwort "Schwerkraft" im Lauf der Jahrzehnte nicht unbedingt zu Kunstwerken geworden sind, müssen die Träger heute nun damit Vorlieb nehmen, dass der Blick auf ihnen nicht mehr vor Begeisterung sondern vielmehr vor Entsetzen hängen bleibt.

Dass sie überhaupt Blicke anziehen, gefällt selbigen Herren immer noch – ungeachtet dessen, wie diese zustande kommen und mit welchem Gesichtsausdruck der BetrachterInnen diese einhergehen. Entsprechend ungeniert tragen sie so ziemlich alle Körperteile nackt zur Schau, die man nur irgendwie zeigen kann, ohne – trotz enormer Zugeständnisse wegen des in reichlichen Mengen fließenden Alkohols – wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses Ärger zu bekommen.

Eine Ausnahme stellt hier die Spezies der Vollbartträger dar. Damit meine ich insbesonders jene Bärte, die seit Beginn der Hippie-Jahre mehr oder weniger ungebremst und ohne jegliche Berührung mit Wasser oder gar Reinigungsmitteln vor sich hinwuchern und so das ihre dazu beitragen, dass doch die eine oder andere Körperstelle verhüllt, wenn auch nicht zwangsläufig verschönert wird.

Eines der beiden Kleidungsstücke, das nun doch die meisten Herren anhatten, waren Shorts. Modelle, die darauf schließen lassen, dass sie lange vor Einführung des Euro angeschafft wurden und seither nicht nur stark verblasst sind, was bei vielen Mustern ohnehin ein Segen ist, sondern auch geschrumpft. So kommt es also zum Phänomen der Bauch-über-Hosenrand-Träger, was beim haltlosen Schunkeln und Tanzen zur rockigen Musik interessante Schwungbewegungen verursacht. Das zweite Kleidungsstück, das sich großer Beliebtheit erfreute, waren Mützen und Hüte, die sich in einer Ausstellung zur "Kopfbekleidung ausgewachsener Kinder" gut gemacht hätten. Darf man Schirmmützen ab dem 50. Geburtstag eigentlich nur mehr verkehrt aufsetzen?

Was mich aber über all diese Äußerlichkeiten hinaus faszinierte, war die Beweglichkeit dieser Herren. Viele davon hielten sich sicherheitshalber an ihren Bierbechern und gegrillten Würstchen an. Andere wiederum hatten auf um 20 Jahre jüngere Freundinnen gesetzt, mit denen sie zu deren großer Peinlichkeit sehr eindeutige Liebestänze versuchten, wenn auch nicht mit großem Erfolg. Eine der besonders krönenden Aussagen einer dieser jungen Freundinnen, just in einer Pause der Musik, ergo sehr laut: "Iiih, bist du notgeil!"

Die einst vermutlich sehr kühnen rhythmischen Bewegungen sehen plötzlich sehr lächerlich aus, etwas ruckartig, etwas unkoordiniert und – so wie das ganze Outfit – nicht unbedingt zeitgemäß. Schnell fühle auch ich mich so: sehr lächerlich, weil ich so gar nicht dazugehöre (kein Wunder, bin ja auch eine der Jüngsten hier! und nüchtern auch noch!). Schön und sehenswert war es trotzdem: denn was ich trotz all meiner schrägen Beobachtungen bewundere, ist die Tatsache, wie bei den Hadern von gestern ältere Herren noch einmal richtig loslegen. Und das meine ich ernst – die Ungehemmtheit, sich total gehen zu lassen, bis zur absoluten Peinlichkeit, die hätte ich manchmal auch gerne! Und das mit einem Körper, der es zweifellos kaum in die Show "Begnadete Körper" schaffen würde…

P.S.1: Die Musik war teilweise ganz gut und teilweise so wie das Publikum: sehr bemüht.

P.S.2: Warum ich über die Frauen so wenig geschrieben habe? Weil sie in der Minderzahl waren und im Vergleich zu den Männern an ihrer Seite trotz 70er-Jahre Leoparden-String-Tangas und etwas aus der Form geratenen Tattoos immer noch vergleichweise gute Figur machten…

P.S.3: Frage mich, wie die Tausenden sehr betrunkenen Menschen alle nach Hause gekommen sind.

P.S.4: Auch sehr ergiebig: das heitere oder vielmehr angeheiterte Beruferaten rund um die zentrale Frage: was machen diese Herren, einige doch unverkennbar gut situiert und nur temporär aus der steifen Rolle des Alltags gefallen, beruflich? Ist einer von denen vielleicht mein Hausarzt von morgen, mein Bankberater, mein Psychotherapeut? Genug, bevor Panik meinerseits aufkommt.

P.S. 5: Und nein, ich weiß nun selbst nicht, ob das nun ein Plädoyer für oder gegen das Sichgehenlassen ist, tendiere aber stark zu Sichgehenlassenmitunbeschränkterhaftung.

 


Kommentare

I love summer, part X — Ein Kommentar

  1. ich schrei mich weg – toll geschildert, ich konnte das mir ehr gut vorstellen. Kannst du nicht für eine Zeitschrift eine Kolumne schreiben? 

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