2 Stunden nach unserer Heimkehr ins unweigerlich wohl geheizte Apartment und dem Aufenthalt unter einer dicken Decke bin ich wieder einigermaßen angetaut und habe meine übliche Betriebstemperatur wieder erreicht. So schaffe ich es nun, mich ohne Schüttelfrostanfälle vor den PC zu setzen und zu berichten. Ich muss sagen, heute war der zweitkälteste Tag meines Lebens, getoppt nur durch einen Stadtbesuch in Chicago vor ziemlich genau 20 Jahren. So lange musste und wollte ich mich zweifellos noch nie in der Eiseskälte aufhalten, für die der eisige Wind heute gesorgt hat. Dieser machte aus den offiziellen minus 3 Grad einen wind chill factor, also eine gefühlte Temperatur, von bestimmt minus 10 Grad. (Mittlerweile, es ist 21 Uhr Ortszeit, hat es im Central Park angeblich nur mehr minus 9 Grad – und den zugehörigen wind chill factor mag ich mir gar nicht erst vorstellen.)
Trotzdem: ein toller, urcooler, wenn auch eiskalter Tag!
Wir beginnen ihn mit dem Heben des Geocaches im Central Park bei unserem nunmehr dritten Besuch dort und nennen uns jetzt sehr stolze Besitzer einer sehr tollen Geocoin-Souvenirmünze! Und ja, der Eskimo, mit dem Max heute unterwegs ist, der bin ich! Dafür war dank Stirnband und Doppelkapuzensystem der Kopf das einzig Warme an mir!
Darauf folgt eine geringfügige wärmende U-Bahn-Fahrt nach Queens, genau genommen nach Flushing. Die Fahrt und der Blick aus den Fenstern der U-Bahn, die mehr eine O-Bahn, weil overground geführt ist, ist super – immer auf die Skyline von Manhattan. In Flushing angekommen verweht es uns fast und wir fallen erfroren und hungrig beim ersten Restaurant im Chinatown von Queens ein. Das Lokal ist gesteckt voll, und zwar voller Einheimischer, was wir als gutes Zeichen werten. Weniger gut ist dann das, was folgt. Zunächst werden wir zu einem Chinesen an den Tisch gesetzt, der – mir gegenüber – ungeniert isst, wie Chinesen eben essen. Sehr unansehnlich, sage ich nur, und erspare den lieben LeserInnen alle Details, die jeglichen Appetit für mindestens 30 Minuten zum Vergehen bringen. Dann folgt ein relativ geschmackloses Essen, das unter anderem durch das rege Treiben getrübt wird, das neben und hinter meinem Stuhl erfolgt.
Als ich aus dem Augenwinkel sehe, wie ein Mann einen riesigen Hund über der Schulter vorbeiträgt, hinterfrage ich zunächst die Hygienemaßnahmen. Was macht so ein Hundekalb im Restaurant? Dann sehe ich jedoch, dass der Hund sehr kahl und sehr tot und genau genommen eine riesige Ente ist. Doch mit einem "Hund" ist es nicht abgetan. Hier erfolgt gerade unter den ungerührten Blicken der Einheimischen eine Großlieferung "frischer" Enten – zur Mittagszeit und mitten durch den Speisesaal. Das finde ich so gewöhnungsbedürftig, dass mir der Appetit vergeht. Vielleicht werde ich doch Vegetarierin?
Max: halt, halt, hier muß ich eingreifen. Der Umstand, dass "dog" und "duck" auf Chinglish (Chinese English) genuschelt faktisch identisch klingen, macht aus Schweinchen Dick noch lange keinen Donald Duck und 50 kg schwere Enten mit Schnauze und 4 Beinen gibt es höchstens in der Nähe von Atomkraftwerken. Aber ich gebe zu, der Transport von toten Schweinen quer durchs Lokal kann empfindsameren Naturen schon mal auf den Magen schlagen.
Wir flüchten in die Kälte und gehen einige Bahnstationen zu Fuß zurück Richtung Manhattan. Der Weg führt unter der O-Bahn-Trasse durch viele südamerikanische Viertel: Salsa-Klänge vermischen sich mit dem Geruch von frisch gebackenen Churros aus einer argentinischen Bäckerei, man verkauft mexikanische Sombreros neben stark frequentierten Barber Shops, Ponchos aus Peru und alles nur Erdenkliche in sehr schrägen Geschäften. Echt skurril!
Einen Nachtrag zu gestern habe ich auch noch: beim Abendessen im Artepasta – endlich mal Gelegenheit, die in New York häufig anzutreffenden Cannoli zu verkosten – habe ich ein seltsames Erlebnis.
Als eine ältere Dame im Tigerkleid hereinspaziert, bleibt mir der Mund offen stehen – trotz nahendem Bissen von der Cannoli-Rolle. Ich bewundere ihren eleganten Gang, bis ich ihr Schuhwerk sehe. Dann werde ich noch blasser und kann meinen Blick gar nicht mehr abwenden. Sie trägt High Heels, die im Ranking der höchsten Damenschuhe zweifellos unter den Top 10 sein müssen, und zudem außer Sohle und 2 dünnen Riemchen keinerlei Halt zu bieten scheinen. Oder gibt es da Tricks a la Kukident?
Wie auch immer, ich bin sprachlos und höchst beeindruckt. Als sie etwas später zur Toilette schreitet, schaue ich ihr erneut andachtsvoll zu. Und bin bass erstaunt, und zwar nicht nur von ihren extremen Sportlerwaden. Sondern vielmehr auch von ihren Schultern. Sie muss in ihrem früheren Leben eine Rugby-Spielerin gewesen sein – oder vielleicht doch ein Rugby-Spieler…