Von Flugzeugen mit Verspätung und angeschnalltem Weihnachtskranz

Nach drei Tagen ohne richtiges Internet ist es gar nicht so leicht, sich an die vergangenen 72 Stunden zu erinnern, denn obwohl alles so lange dauerte, überschlugen sich die Ereignisse, wenn auch leider nicht alle vor Freude!
 
Was am Tag vor dem Abflug mit der Erkenntnis beginnt, dass innereuropäisch im Flugverkehr gar nichts geht, weil Frankfurt zwar nicht von der Welt, wohl aber von anderen europäischen Städten flugtechnisch abgeschnitten ist, entwickelt sich spannend und zeitraubend. Der Flug von Wien nach Frankfurt (Aufstehen um 4 Uhr, nur um die angeblich rundum besetzte Hotline wieder nur besetzt vorzufinden) beginnt noch hoffnungsfroh, denn man lässt uns mit nur geringer Verspätung boarden. Im Flugzeug aber sieht schnell alles anders aus. Auf meine Frage, ob wir denn unsere Sitzplätze in der letzten Reihe tauschen können, um unseren ohnehin schon knappen Weiterflug nach Miami nicht zu verpassen, erklärt man uns, dass daraus sowieso nichts wird, da es sowohl in Wien als auch in Frankfurt schon wieder schneit. Eingepfercht in der letzten Reihe eines prallvollen Flugzeugs erinnere ich mich an die lieben Wünsche der vierjährigen Hannah kurz vor unserer Abreise: „Ich wünsch dir auch ein ganz braves Christkind!“ – „Sieht so brav aus?“, frage ich mich, während meine Frage, warum man uns dann boarden lässt, mit der Antwort quittiert: „Wenn es eine realistische Chance gibt, dass der Flug – irgendwann – durchgeführt wird, müssen wir die Passagiere boarden lassen.“ Nun gut. Mit „nur“ 90 Minuten Verspätung landen wir also in Frankfurt und durchforsten den überdimensionierten Flughafen bei einem kilometerlangen Fußmarsch auf der Suche nach einem Lufthansa Service Center, bei dem wir umgebucht werden sollen. Da an allen nur erdenklichen Schaltern Menschenschlangen anstehen, wie sie sonst wohl nur bei Abverkaufsaktionen von Stardesignern bekannt sind, der nächste Schock. Die von uns erhoffte Umbuchung über Charlotte kann sich gar nicht mehr ausgehen, denn dazu sind die Schlangen viel zu lange. (Eine Freundin berichtet später von Schlägereien am Flughafen Frankfurt, was ich mir gut vorstellen kann; wir waren’s aber nicht, ehrlich!***) Eine Lufthansa-Dame, die ich von der Seite schnell anquatsche, verweist mich naiv an eine Hotline, die wie alle anderen in den Vortagen auch natürlich besetzt ist. „Sieht so ein braves Christkind aus?“, frage ich mich erneut, während ich mich pro 10 Minuten um 1 cm in der ca 1 km langen Schlange weiterbewege.
 
Einer der Vorteile am Reisen zu zweit besteht eindeutig darin, dass man Arbeitsteilung machen kann. Und das tun wir schließlich recht erfolgreich. Während ich in der Warteschlange zu Konversation genötigt werde (ein Norweger fragt mich etwas sinnlos: "Are you happy?", was ich mit einem gar nicht so milden Lächeln und der Antwort „Do I look like it?“ quittiere und so das Gespräch im Keim erwürge), findet Max dann doch eine gut versteckte Supervisorin, die uns nach langem Hin und Her schließlich umbuchen kann. Die Menschen in der Schlange stehen, so denke ich, auch heute noch an.
 
Das Umbuchen bedeutet eine weitere Wartezeit von 4 Stunden am Flughafen Frankfurt und einen Umweg über Orlando. Unsere Sitze: vorletzte Reihe, eingeklemmt zwischen zwei Herrschaften, die bei dem 10stündigen Flug kein einziges Mal freiwillig aufstehen. Dafür weiß ich jetzt, warum Kindern in Flugzeugen das Kinder-Unterhaltungsset in Papiertüten überreicht wird. Nicht, weil ihnen so leicht schlecht wird, sondern weil man darin herrlich die Füße parken und diese in der Tüte rhythmisch und ausdauernd gegen den Vordersitz treten kann. Und ich weiß, dass Verspätungen Kindern relativ egal sind im Vergleich zu den wirklich wichtigen Sorgen in ihrem Leben: „Mami, hast du eine Überraschung für mich, wenn ich ankomme?“, so der kleine Julius am Telefon zu seiner Mutter, während er mit seinem Vater scheinbar gerade die Heimreise antritt.
 
Außerdem erfahre ich von einem neuen Konzept der Nachhaltigkeit in den USA, das der langjährigen Tradition von Plastikbäumen in Grün oder kitschigem Weiß entsagt. Das Unternehmen „The Original Living Tree“, bezeichnenderweise von einem John FOGEL unter dem Motto „Rent a tree“ ins Leben gerufen, bietet die Möglichkeit, dass man jedes Jahr zu Weihnachten wieder den eigenen Baum geliefert bekommt, der dann die restlichen 350 Tage des Jahres in der Baumschule weiter gepflegt und gehegt wird. Einmal Anschaffungskosten zahlen, danach nur mehr die Betreuungs- und Lieferkosten für den Baum – sehr interessant, oder?
 
Das Flugzeug selbst ist jedenfalls sehr bemüht, Weihnachtsstimmung zu verbreiten, denn in jedem Bereich sind Weihnachtskränze an die Wände geschnallt. Irgendwie süß. Leider ist auch dieser Flug verspätet und da wir in Orlando die Immigrationsprozedur mit dem Abdruck von Fingern und Fotos hinter uns bringen müssen (ich freue mich ja fast schon auf die Tage, wo man auf den jetzigen Fingerscannern auch Fußabdrücke hinterlassen muss, um einwandern zu dürfen, denn dann wird sich die Nicht-Yoga-Spreu schnell vom Yoga-Weizen trennen!), haben wir Angst, den knappen Anschluss nach Miami zu verpassen. Alles dauert ewig und 3 Tage. Doch auch das ist schließlich egal, denn unser Anschlussflug – wir sind mittlerweile bereits 24 Stunden unterwegs und haben nach vielen Jahren endlich wieder mal eine Nacht durchgemacht – verzögert sich. Um 15 Minuten. Um weitere 15. Um weitere 30. Das einzig Positive: das gibt mir Zeit, einen ersten Zeitschriftenladen in den USA unsicher zu machen und die riesigen Plastikweihnachtsbäume unter Plastikpalmen am durchaus disneylandmäßig geprägten Flughafen von Orlando zu bestaunen. Und die absolute weihnachtliche Enthemmtheit der Angestellten und Passagiere. Selbst die Angestellten scheuen teilweise nicht davor zurück, mit Weihnachtsmützen mit Micky Maus-Ohren an ihrem Schalter die Passagiere, oft ebenso mit interessanten weihnachtlichen Kopfbekleidungen, zu bedienen. Auch die Schalter selbst sind alle dekoriert: mit Weihnachtsmännern, Schneemännern, Girlanden, roten Maschen, Glitter in allen Farben, weiß-blauen Luftballongirlanden im Winterlook – sehr amüsant, so man nach dieser Odyssee noch amüsiert sein kann. Endlich im Flieger, letzte Reihe, mehr muss ich gar nicht sagen, sind die nächsten Sorgen dran: wir haben zwar die Autovermietung und unsere Apartment-Vermieterin von unserer Verzögerung in Frankfurt informiert, doch dass wir in Orlando selbst (angeblich wegen Schlechtwetter in Form von Regen und Sturm) noch mehr Verspätung aufreißen würden, haben wir natürlich nicht ahnen können (oder doch?) und sind daher besorgt, dass wir irgendwann zwar vor dem Apartmenthaus, aber vor verschlossenen Türen stehen würden.
 
Dann endlich endlich: MIAMI. Langes Warten auf die Koffer, die erfreulicherweise die vielen Umbuchen und Verspätungen ohne zusätzliche Umwege überstanden haben, nochmals Telefonat mit der Vermieterin, die weit nach Mitternacht Ortszeit schon recht müde wirkt und dann zum Autovermieter. Stockwerke hoch zur Anmeldung, Stockwerke runter zum Abholen des Autos. Mittlerweile schleppt der Koffer eher mich als umgekehrt. Dann auf dem Parkdeck auf die Frage: „Which car is ours?“ die Antwort: „The silver car“. Das silberne Auto??? „Yes, the silver car“, sagt er erneut und zeigt auf einen Parkbereich mit rund 30 Autos, von denen 27 in den Farbtönen von silber bis aschgrau variieren. Nichts von wegen Automarke, dabei dachte ich, nur ich und andere wenig autoaffine Frauen beschränken sich bei der Autobezeichnung auf die Farbe. Egal, irgendwann bequemte sich der Herr, uns genau unser Auto zu zeigen und verlässt uns mit den Worten „Happy Holidays“. Dann noch durch die Autokontrolle des Vermieters, der sicherstellt, dass wir das Auto nicht geklaut haben. Als er unsere erschöpften Gesichter sieht, erkennt er schnell, dass so wohl keine Diebe aussehen und verabschiedet uns ebenfalls mit den Worten „Happy Holidays“ in die Freiheit, bestehend aus Highways, Byways und Causeways. Wieder muss ich an Hannah und ihre braven Christkindwünsche denken. Vielleicht war das ja doch ein braves Christkind, das uns mit nur 15 Stunden Verspätung in Miami ankommen ließ. Nun noch zum Apartment fahren, parken (eine weitere schwierige Sache in dieser Wohngegend) und irgendwie ins Apartment kommen. Miami präsentiert sich mit einem herrlich tropischen Duft nach frischem, warmem Regen; es riecht nach Karibik, ein bisschen Jamaika, ein Hauch Costa Rica und – nach U.r.l.a.u.b.! Yippie. Die Häuser, die wir um halb 2 Uhr morgens passieren, blinken in den verrücktesten Farben, die Straßen sind leer, die Skyline gibt sich imposant. Hier gefällt es mir. Das GPS führt uns zielstrebig zur Mantell Plaza, unserem Apartmenthaus, wo wir die Vermieterin über die Sprechanlage, die mit ihrem Handy verbunden ist, aufwecken. Immerhin. Sie lässt uns hinein und hat uns sogar noch ein Park Permit bereitgelegt. Das nenn ich einen Superservice!
 
Das Apartment ist klein, aber sehr stylish, bietet aus dem Bett den Blick auf im Wind schwebende Palmen und eine supergute Dusche sowie ein paar kleine Snacks, etwa erdnussbuttergefüllte Cracker. Das ist alles, was ich in diesen 30-Stunden-Tag noch hineinzupacken in der Lage bin. Dann ab ins Bett!
 
Durch die durchwachte Nacht gestaltet sich dafür der Jetlag umso harmloser. Wir schlafen fast durch und ziehen dann los: in 10 Fußminuten sind wir am Boardwalk und am Meer. Es ist kühl für hiesige Verhältnisse, nur 10-12 Grad in der Früh an diesem Sonntag, doch im Lauf des Tages schaffen wir es auf mindestens 25 Grad, was einer Temperaturdifferenz von 35-40 Grad zu Wien entspricht. Dafür gibt es nur ein Wort: geil. Wir bummeln den Boardwalk entlang nach Süden in den Art Deco District mit seinen pastellfarbenen Häuschen, sonnenbeschienen und möwenumzingelt, wo sich lauter nette Frühstückslokale aneinanderreihen. Nach einem Omelette, Fruchtsalat und French Toast sind wir endlich angekommen. Die ungewohnte Sonne, die sich langsam gegen den nächtlichen Regen durchsetzt, beflügelt. Wir flanieren zurück durch die Einkaufsstraße Lincoln Road, wo wir den Sonntag fortsetzen. Überall Weihnachtsdeko, lebensgroße Krippen unter Palmen, gerade richtig viele Menschen, tolle Straßenlokale – Life is Good.
 
Eine 30-stündige Reise erfordert schließlich ein ordentliches Maß an Regeneration. Hier ein Überblick über die ersten Schritte unseres Destress-Programms:
– Genießen des Ausblicks aus unserem Apartment auf die windbewegten Palmen, was etwas ungemein Entspannendes hat
– Ein Spaziergang über den South Beach Boardwalk Richtung Art Deco Bezirk
– Ein leckeres Frühstück am Ocean Drive von Miami mit immer wärmerer Sonne
– Ein himmlisches Strawberry Sundae mit Hot Fudge Sauce vom Meister der Schokoladen, Ghirardelli, wie wir ihn aus San Francisco kennen
– Ein Stapel inspirierender Kochhefte
– Eine Siesta im Apartment zum weiteren Regenerieren mit Blick auf die Palmen, die noch immer wunderbar entspannend wirken (eine Marktlücke in Österreich vielleicht: Fototapeten mit Palmen, die man AUSSEN vor die Fenster hängt)
– Ein Einkauf im bestens sortierten Super!Markt Publix gleich „in der Nähe“, nur 4 km vom Apartment entfernt
– Ein Besuch beim Küchenutensilienladen Williams Sonoma, wo ich erstaunlicherweise nichts, also: fast nichts, kaufe
– Lebensfreude aufsaugen am Bayside Marketplace, wo Einheimische wirklich jeden Alters und jeder Figur (natürlich ganz viele Kubaner) zu Live-Musik ausgelassen und teilweise mit Weihnachtsmützen auf dem Kopf, Salsa tanzen – und das auch noch unglaublich gut, auch das ungeachtet von Alter und Figur! Dass es dort nebenbei noch einen wunderbaren Blick auf den Hafen und nette Läden und einen leckeren Food Court (Stichwort: Bourbon Chicken) gibt, ist natürlich auch nicht schlecht.
 
Dermaßen beschwingt lassen wir, dennoch sehr müde, unseren ersten Tag in Florida ausklingen. Internet im Zimmer gibt es leider nicht, daher ein dermaßen langer Blogeintrag –auf einmal, denn den Weg in die Library dieses Hauses, wo es angeblich Internet gibt, schaffen wir nicht mehr. Nur für einen kurzen Facebook-Eintrag gelingt es uns, uns vom Zimmer in ein City of Miami-Stadtnetzwerk zu hängen, doch dieses funktioniert nur genau 5 Minuten. Wahrscheinlich hat man uns enttarnt, auf die Watchliste gesetzt und lässt uns nun nicht mehr ausreisen. Das wäre wohl nicht das Schlimmste, was uns hier passieren kann, denn das Wetter, die Temperatur und die Sonne sind ein Hit!
 
Letzter Tagesordnungspunkt: während Max für ein ungeplantes Foto mit dem Titel „Man with a headache“ (also: vorher, nicht nach dem Bier) im Bett posiert, gebe ich mich dem genussvolle Stöbern in meinen Kochheften hin, denn schon jetzt will ein Weihnachtsmenü geplant sein! Aber ich bin gut unterwegs: für die Hauptspeise gibt es schon erste, auch in diesem Apartment machbare Ideen! Die Nachspeise wird schwieriger, denn wie so oft in fremden Apartments, sind diese backtechnisch sowohl bei Utensilien wie Formen als auch bei Grundzutaten wie Mehl, Backpulver etc. extrem unter- bzw. unausgestattet (und wie ich gerade festgestellt habe, gibt es gar kein Backrohr, was nun auch die anvisierte Hauptspeise gefährdet, denn ob man wirklich alles auch in der Mikrowelle mit ihren zugegebenermaßen Dutzenden Funktionen zubereiten kann, weiß ich nicht). Aber diese Herausforderung nehme ich so wie im Vorjahr in New York gerne an. Happy Holidays! Und: „Cheers", lieber Max, der mittlerweile seit 15 Stunden durchgehend die Erschöpfung der letzten Jahre abzuschlafen scheint, während ich mich den wichtigen Dingen wie Weihnachtsmenüplanung, einem Glas kalter fettfreier Milch mit einem der berühmten Milano Raspberry Cookies, wie wir sie in der Auszeit in den USA lieben gelernt haben, und den Zimmerversuchen über das Internet hingebe. Also auch euch, Ihr Lieben bis zum nächsten Blogeintrag: Happy Holidays! 

***Am Sonntag waren auf dem Frankfurter Flughafen wegen des starken Schneefalls rund 600 von 1.400 Flügen ausgefallen. In den Terminals, in denen Tausende Menschen auf ihre Flüge warteten, gab es vereinzelt Auseinandersetzungen zwischen Passagieren. (Diese Meldung, die ich auf ORF.at gerade gelesen habe, bestätigt die Brave-Christkind-Theorie: war hatten also tatsächlich Riesenglück. Danke, du braves Christkind!) 


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