Geschenkte Zeit für etwas sonnenbeschienene-regenbestürmte Vorfreude

Das Freelancer-Selbstständigen-Leben ist nicht immer ein Honigschlecken, schon gar kein Keksessen. Doch wenn man nach jahrelangem, sprichwörtlichem Training-on-the-job einmal die Kunst beherrscht, geschenkte Zeit – und seien es nur einzelne Stunden – zu nutzen, so gut es geht, dann wird es spannend und richtig toll und man stellt fest, dass man seinen Chef oder seine Chefin noch nie so geliebt hat wie als Selbstständige.

Nach Wochen des Dauerstresses fiel mir am Mittwoch geschenkte Zeit in die Hände. Ein Job wurde netterweise auf Januar verschoben, das Eintreffen des nächsten Jobs verschob sich auf Freitag. Weil ich in der Früh aber noch dachte, dass der letzte Job dieses Jahres bereits zu Mittag eintreffen würde, legte ich also schon frühmorgens los, frei nach dem Auszeit-Motto: "Worauf habe ich jetzt gerade am meisten Lust?" So entstanden ein paar Badepralinen, die es erst zu testen gilt, dann kamen White Chocolate Blackberry Blondies an die Reihe (ja, zum Essen!), dann, als der Job immer noch nicht da war, erkundete ich den neu eröffneten Eurospar in unserer Nähe. Und durfte freudig vermerken, dass dieser durchaus eine Bereicherung für unsere Gegend darstellt. Mit den so besorgten Zutaten ging es, der Job ließ noch immer auf sich warten, an die Zubereitung eines floridianisch angehauchten Salates mit Muschelnudeln sowie an kleine Mango-Blackberry-Trifles, ehe Zeit für eine Siesta war. Ich habe da nämlich ein Vorbild aus Key West, mit dem ich allerdings in mehrerlei Hinsicht nicht mithalten kann.

Beim Wort "Siesta" darf man jetzt eben nicht nur an das denken, was sehr sehr alte Opis mittags tun, sondern an das, was multitasking-begabte Freelancer gerne tun, wenn sie denn zwischen all den Aktivitäten der geschenkten Zeit mal eine Pause brauchen und einfach nur herumklönen möchten: also Videoschauen, gleichzeitig Zeitschriften durchblättern und einer Suppe beim zufriedenen Köcheln zuhören, ehe eventuell, aber nur ganz eventuell, mal die Suppe der Freelanceren beim zufriedenen Röcheln zuhört.

Anders als der Tote auf dem Video ergaben sich die Möhrchen allerdings ganz freiwillig ihrem Schicksal. Tja und ich erneuerte derweil mein inniges Verhältnis zu unserem Sofa mit ziemlichem Engagement. Daneben wurde an Weihnachtsgeschenken gewerkelt, Kleinigkeiten wurden verpackt und berüscht und das Nichtengeschenk in die nächste Entwicklungsphase gehoben.

   

Die Tatsache, dass ich schließlich in Erfahrung bringen konnte, dass der angekündigte Job noch bis Freitag auf sich warten lassen würde, beflügelte mich nach der Siesta zu einem weiteren Höhenflug.

Wissend, dass die Nähmaschine irgendwann dann doch wieder (zumindest vorübergehend) in das mütterliche Stammhaus wandern würde, bereitete ich vorsorglich noch ein paar Billets vor. Und weil die Farben so gut harmonierten, entstanden ganz unplanmäßig gleich noch 10 Weihnachtskarten, und, weil ich so im Flow war, auch noch ein paar Frühlingskarten. Kurz vor dem Sommersortiment stellte sich dann doch die Erschöpfung ein: zuerst am Werktisch, dann am Fußboden, der ja auch noch mit Seifen bedeckt ist, und schließlich auch bei mir.

 

   

Zwischendurch tat ich, was ich mittlerweile auch sehr gut kann: ich verdrängte die Gedanken an die stressige nächste Arbeitswoche und genoss die Vorfreude auf den Weihnachts-Silvester-Urlaub in vollen Zügen, während die Badepralinen das Haus gemeinsam mit den Blondies ganz köstlich bedufteten. Der neue Rübli-Duft klingt schlimm und süß zugleich und ist das deutsche Pendant zum amerikanischen "Carrot Cake" und ganz unwiderstehlich! Ganz nebenbei fügte er sich auch noch harmonisch in den Geruch der Karottensuppe ein…

Ja, seit Wochen freue ich mich jeden Tag ein klein wenig mehr vor, male aus, träume vor mich hin, beginne zu verstehen, warum Menschen Jahr für Jahr für Jahr an denselben Ort reisen (auch wenn wir das natürlich nicht tun, denn wir reisen zwar in denselben amerikanischen Bundesstaat wie vor einem Jahr, doch nur bedingt an dieselben Orte und wenn, dann aus einem sehr guten Grund, aber das sagen die Vorderstoder-Fans natürlich auch und empfinden es als krönende Abwechslung, wenn sie mal ganz was Anderes tun und nach Hinterstoder fahren). Seufz.

Vorfreude. Ist. Schön. Life. Is. Good. Bald, ganz bald.

   

Nach dem erbaulichen Einkauf im Supermarkt stellte ich fest, dass das Ablaufdatum der Milch bereits hinter dem geplanten Abflugdatum liegt. Das bedeutet, dass nach Andrea Riese mit dem Packen (jeden Tag 2 Stück) und mit der exzessiven Vorfreude (jeden Tag 2 Freu) begonnen werden darf. Da dieser Punkt nun mehr als erreicht ist (das Ablaufdatum besagt 20.12., was bereits 3 ganze Tage hinter dem geplanten, ja ich sage geplant, denn Schneechaos und Streiks hin und her, man weiß ja nie, ob man schon in Wien oder erst in London hängen bleibt, liegt), wird eben auch gepackt. So beginnen kleine Türmchen aus Badezeug und Flipflops, Sonnenbrille und Schirmkappe (man will sich ja einfügen) auf den Treppen zu stapeln.

Nur die Sache mit dem Reisetagebuch ist schwierig wie immer: lieber das ganz kleine, das supergut in die Reisehandtasche passt, aber wenig Entfaltungsmöglichkeiten bietet, oder doch lieber das etwas größere mit der dicken Spiralbindung, die sich aber garantiert dauernd in den Wirren der Handtasche verhängt oder das mittelgroße quadratische, das allerdings braune Seiten hat, auf denen die Notizen dann vielleicht nicht gut lesbar sind? Ach, wenn ich mal beginne, derlei Sorgen zu wälzen, weiß ich: das Reisegesicht ist nicht mehr weit. Im konkreten Fall ist es nur noch 16.000 Übersetzungswörter weit entfernt.

   

Bis diese eintrudeln, stärke ich mich mental mit den Fotos vom Vorjahresurlaub, Erinnerungen und Vorfreuden: In Miami beginnt sie beim Chocolatier und Eiskreateur Ghirardelli, in Key West ruhen und tanzen meine Hoffnungen auf dem Artist Room unseres B&B, auf einem Sonnenuntergang ohne Fleecejacke, auf vertrauten alten Orten und unvertrauten neuen Orten, auf Weihnachten, das ich diesmal höchstpersönlich unter einer höchstpersönlichen Palme verbringen möchte – ob am Abend des 24. Dezember oder, ganz amerikanisch, am Morgen des 25. Dezember ist mir dabei egal.

Ich will wieder staunen über weihnachtlich dekorierte PKWs (Stichwort Elchgeweih), verrückte als Weihnachtsmänner verkleidete Motorradfahrer, rot-weiß-dekorierte Gehstöcke und andere weihnachtliche Seltsamkeiten, die man, glaube ich, echt nur in den USA erleben darf.

In diesem Sinne genieße ich nochmal kurz die Ruhe vor dem Sturm, um dann die Ruhe ohne Sturm in vollen Zügen auskosten zu können. Euch auch noch eine wunderbare Vorvorweihnachtswoche!

 


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert