Das Gegenteil von Gedächtnisschwund

Ich weiß zwar nicht, wie das Gegenteil von Gedächtnisschwund heißt, aber ich genieße es. Langsam fällt mir wieder ein, wie perfekte Tage auszusehen haben. Meine perfekten Tage zumindest. Gedächtnisfund vielleicht?

Wochentags radfahren, mehrfach, spätnachts, heimfahren aus der Stadt, nach netten Veranstaltungen und Plauschereien, die Lichter entlang des Donaukanals, der Donau, der Donauinsel begleiten, zusehen, wie sie im Wasser glänzen und darin versinken. Weiterradeln, dem Halbmond ganz dringend aber erfolglos eine zweite Hälfte wünschen, der Frühsommernacht leicht fröstelnd Hochsommerflair zuschreiben, zufrieden sein.

Samstags in der Stadt: 1) Freundinnen (geselliges Frühstück im "Motto am Fluss"), 2) Freund (45 zu schnelle km für zu müde Beine), 3) Beach-Lokal "Wake up" mit Aussicht, Sand zwischen den Zehen und das Gefühl von ganz viel Zeit, auch wenn die schwarzen Wolken schneller unterwegs sind als die Wasserskifahrer (einziger, enttäuschender Unterschied: keine der Wolken springt elegant über die Sprungschanze, keine der Wolken legt einen spektakulären Bauchfleck hin), 4) Heimkehren haarscharf und staubtrocken Minuten vor dem großen Regen, der dann doch noch Ähnlichkeit hat mit einem sehr großen Bauchfleck – großer Bauch, großer Fleck, 5) Samstagnachmittag mit einem fesselnden Buch (Siesta, im Bett, erstmals nach Jahren!), während der Regen auf meine unkontrolliert wuchernde Minze prasselt, von der ich seit 3) weiß, wohin damit: in einen Maracuja-Drink, büschelweise, und nicht daran saugen wie an einem Strohhalm (ein Stängel ist ein Stängel bleibt ein Stängel, 100 mal probiert, mich gegen die Gesetze der Minznatur aufzulehnen, erfolglos).

Ein weiteres Allheilmittel und Erfolgsrezept fürs glückliche Leben fällt mir ein, auch wenn ich auf diese Erinnerung großzügig hätte verzichten können: Ischiasziepen ignorieren, Tablette einwerfen, einreiben, versinken: in Zeilen, Gedanken, Träumen.

Im konkreten Fall sind alle drei Punkte mit einem einzigen Buch zu erledigen: das Weltreisebuch von Axel N. Halbhuber: Einfach eine Weltreise. Er hat ja so Recht, wenn er schreibt: Irgendwann merkst du, wie lang ein Jahr ist. … Du fragst dich, wie viel Erweiterung ein Horizont auf einmal verkraftet. Denn eines ist dir schon lange klar: Eine einjährige Reise ist eine dichte Aneinanderreihung besonderer Momente. … Die Seele braucht länger, bis sie ankommt, sagt man. Meine dürfte mir Richtung Chile nachgeschwommen sein, gemütliche Brusttempi. Also hat meine Weltreise erst am einundachtzigsten Tag richtig begonnen. Phileas Fogg war da schon fertig. …  Ich bin nur dagesessen und war glücklich. 34 Minuten lang. Hey, das ist ein Anfang.

Mich vom Gewitter aus den Zeilen, Gedanken, Träumen reißen lassen. Nicht klein beigeben. Noch einmal eintauchen, versinken. Auch wenn ich auf das Meerschweinchen am Teller gerne verzichte. Was mich an so einem Nachmittag trotz zentnerschwerer Beine frühzeitig, also vor dem orientalischen Nachtmahl, das noch auf unsere Zubereitung wartet, aus dem Bett treiben könnte? Konkrete Pläne, die viel mit einem zuerst leeren, bald vollen Rucksack zu tun haben, einem weiteren Round-the-world-ticket oder einem Wohnmobil für 12 Monate, für das ich ja immerhin schon faltbaren Wäschekorb sowie das perfekte Omnitalentkleid besitze. Daher besser mit dem bewährten Anfängerprogramm für müde Radfahrer fortfahren: versinken: in Zeilen, Gedanken, Träumen. Gedächtnisfund, ganz nach meinem Geschmack!


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